Vivantes und 30 Jahre Mauerfall: Erfahrungsberichte von Mitarbeitenden
Die Bilder aus Berlin vom 9. November 1989 von den Menschen auf der Mauer gingen um die Welt und prägten sich in unser Gedächtnis ein: Bilder, die auch heute noch Gänsehaut hervorrufen. Zu ihren Erinnerungen zum Thema "30 Jahre Mauerfall" befragt wurden
- Prof. Dr. Dr. Alfred Holzgreve
- Annette Müller, Stellvertretende Leitende Hebamme, Vivantes Klinikum Kaulsdorf und
- Mathias Klitzke, Leiter Physikalische Dienste bei Vivantes.
30 Jahre Mauerfall: Erinnerungen von Prof. Dr. Dr. Alfred Holzgreve
Wir feierten die Nacht durch – acht Monate später haben wir geheiratet, und genau neun Monate nach dem Mauerfall wurde unser erstes Kind geboren.
Wie haben Sie den Tag des Mauerfalls (09.11.1989) erlebt?
Am frühen Abend des Mauerfalls flog ich aus Münster nach Berlin, um meine damals neue Freundin und jetzige Frau zu besuchen. Als ich ankam, hörte ich die ersten Berichte, die Mauer sei offen. Wir zogen sofort gemeinsam los zum Brandenburger Tor und gehörten zu jenen, die sich gleich ein Stück aus der Mauer herausgehämmert haben.
Ich war immer schon Berlin-Fan und werde mein Leben lang dankbar sein, dass ich diesen historischen Tag live miterleben durfte. Gut, dass ich den Flug so lange vorher gebucht hatte – spontan hätte ich wohl nie einen Platz im Flugzeug bekommen! Wir feierten die Nacht durch – acht Monate später haben wir geheiratet, und genau neun Monate nach dem Mauerfall wurde unser erstes Kind geboren.
Wie hat Sie die Arbeit seit 1989 geprägt?
1996 begann ich als chirurgischer Chefarzt im Unternehmen. Die Geschichten aus der medizinischen Stationsarbeit und aus den Operationsabteilungen, die mir die Kolleginnen und Kollegen aus Ost-Berlin und der ehemaligen DDR erzählten, waren für mich zum Teil völlig neu.
Als Ärztlicher Direktor in Neukölln war ich in verschiedenen Funktionen ständig zwischen Ost und West unterwegs und im Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen "von drüben", zum Beispiel den Friedrichshainern. Die Begegnung mit Menschen, die eine ganz andere Vergangenheit hatten, war eine große Bereicherung für mich. Es war mir stets wichtig, ihnen gut zuzuhören, um von diesen Erfahrungen zu lernen.
30 Jahre Mauerfall: Erinnerungen von Annette Müller
Als wir den Fernseher einschalteten, konnte ich es wirklich glauben. Das Erste, was ich dann im Westen gekauft habe, war Waschmittel …
Erinnern Sie sich noch an den Tag des Mauerfalls? Wie haben Sie ihn verbracht?
Ich war abends mit meiner einjährigen Tochter zu Hause und fragte mich, warum mein Mann nicht von der Uni zurückkam – er studierte damals in Cottbus. Als er dann nachts an der Tür klingelte, war ich zuerst sauer, bis er mir erklärte, er sei mit dem Zug über die Grenze gefahren: Die Mauer sei offen. Erst als wir den Fernseher einschalteten, konnte ich es wirklich glauben. Das Erste, was ich dann im Westen gekauft habe, war Waschmittel … so sind junge Muttis!
Wie unterschied sich die Arbeit als Hebamme?
Damals machte ich "Schwangerenberatung", heute heißt das "Mutterschaftsvorsorge"… Die Arbeit von uns Hebammen ist seitdem eigentlich dieselbe geblieben, nur die Frauen haben sich verändert!
Wie zeigt sich das?
Die werdenden Mütter sind heute anspruchsvoller, informieren sich fast zu viel und werden dann von der Wirklichkeit überrascht. Denn eine Geburt läuft immer anders als gedacht. Damals gab es nur ein Schmerzmittel, das man spritzen konnte, heute gibt es viel mehr Möglichkeiten: von PDA bis Lachgas.
Auch Homöopathie gab es in der DDR nicht. Da gehe ich mit der Zeit und habe es mir angeeignet. So konnte ich wunderschöne Geburten miterleben! Wenn eine werdende Mutter die Schmerzmedikation voll ausschöpfen will, dann ich immer: "Der Wehenschmerz ist ganz natürlich, lassen Sie sich ruhig darauf ein!"
30 Jahre Mauerfall: Erinnerungen von Mathias Klitzke
Ich hatte das Gefühl, wir werden überrollt. Inzwischen bin ich aber absoluter Fan vom zusammengewachsenen Berlin …
Als die Mauer fiel – wie haben Sie das erlebt?
Den Mauerfall habe ich ungläubig und auch angespannt erlebt. Ich bin 1961 geboren, quasi während des Mauerbaus, und in Wilmersdorf aufgewachsen. Für mich gab es nur die "Insel" Westberlin. Jedes Weihnachten haben wir Solidaritätskerzen für Ostberlinerinnen und Ostberliner in die Fenster gestellt – das war in der ganzen Straße Brauch. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen, dass die Mauer jemals fallen könnte.
Am 9. November 1989 saß ich bei meiner Schwester beim Abendessen, wir haben aufgeregt Radio gehört. Ich bin nicht gleich zur Mauer gefahren, war nicht euphorisch, sondern hatte auch Sorge vor einer gewalttätigen Intervention von Staatskräften.
Ein paar Tage später – ich lebte in Zehlendorf, wo es sonst ruhig und fast dörflich war – waren die Straßen voll mit Trabis. Ich hatte das Gefühl, wir werden überrollt. Inzwischen bin ich aber absoluter Fan vom zusammengewachsenen Berlin und denke auch nicht mehr in Ost- und Westkategorien.
Was hat sich nach dem Mauerfall im Krankenhaus verändert?
Damals war ich im Max-Bürger-Krankenhaus in Charlottenburg leitender Krankengymnast. Jetzt leite ich bei Vivantes im ehemaligen Ost- und Westteil der Stadt die Physiotherapien. Durch meine Arbeit hatte ich schnell Kontakt zu Ostberliner*innen. Ihre Mentalität hat mir gleich sehr gefallen: spontan, selbstbewusst und ein bisschen frech.
Unsere Teams sind durch die Mischung heute vielseitiger und weltoffener. Sehr gut finde ich auch, dass wir inzwischen den Ostbegriff "Physiotherapeut" übernommen haben. Vorher nannten wir uns ja "Krankengymnasten". Das klingt nach Turnvater Jahn und nicht so ganzheitlich wie "Therapeut".
Gab es auch negative Veränderungen bei der Arbeit?
Ja, es gab spürbare Veränderungen: Schon bald fiel die Berlin-Zulage weg, und das war für mich als Familienvater mit drei Kindern wirklich hart. Denn das waren um die 500 Mark weniger.
Neugierig auf die anderen 27 Interviews?
Sie finden sie auf der Vivantes Webseite "30 Jahre Mauerfall".
Fotos: Reiner Freese