Vom Treppenhaus zum Gesamtkunstwerk

Wie die Gestaltungsidee entstand, berichtet Thomas Langer, Leiter der Ergo- und Kunsttherapie in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Kaulsdorf.
Wie kamen Sie auf die Idee, ein Treppenhaus zu gestalten?
Thomas Langer: Im Jahr 2015 wurde hier am Klinikum Kaulsdorf ein Neubau für die Psychiatrie gebaut – modern eingerichtet und nach neusten Sicherheitsstandards. Treppenhäuser sind funktional, müssen aber gesichert werden, um Stürze zu verhindern. So entstand die Idee ebenfalls im somatischen Bereich der Klinik ein Konzept zu entwickeln, das neben seinem Nutzen auch noch schön aussieht. Wir begannen mit verschiedensten Materialien zu experimentieren – denn auch die Statik war wichtig, Arbeits- und Brandschutzbeauftragte sowie die technische Standortleitung mussten natürlich einbezogen werden – und wir präsentierten das Ergebnis unseren Chefärztinnen und der Krankenhausleitung. Alle waren sich einig, dass das Ergebnis sich sehen lassen kann!

Das Kunstprojekt war Teil der Therapie – welche Patientinnen und Patienten wollten sie damit ansprechen?
Thomas Langer: Für alle Stationen gibt es verschiedene ergo- und kunsttherapeutische Angebote wie Keramikgruppen, Therapiegruppen für freies oder thematisches Gestalten und verschiedene alltagspraktische Therapien. Besonders in der Akutpsychiatrie sind dabei langfristige Projekte schwerer planbar. Neben der Sensibilisierung aller Patientinnen und Patienten für die oft tabuisierte Thematik Suizidalität wollten wir natürlich auch suizidgefährdete Patientinnen und Patienten erreichen, ihnen ein niedrigschwelliges Angebot machen, weil dieses Thema sich in größeren Gruppen nicht gut besprechen lässt.
Künstlerische Arbeit als Suizidprävention?
Thomas Langer: Ja, suizidgefährdete Menschen fürchten oft, ihre sozialen Kontakte zu verlieren, wenn sie über Lebensüberdrussgedanken sprechen. Und auch in der Therapie und im Gespräch zwischen Patientinnen und Patienten ist es aus Stigmatisierungsangst oft immer noch ein Tabuthema. So kommt es meistens eher durch direkte Nachfrage zur Sprache. Wir nehmen Menschen mit Suizidgedanken ernst und haben über die Kunst einen Weg gefunden, eine Brücke zu schlagen und in einem geschützten Rahmen darüber zu sprechen, auch um alternative Auswege zu finden. Das Projekt hat also eine doppelte Wirksamkeit: Zum einen die Arbeit mit den künstlerisch Beteiligten, zum anderen ist das Treppenhaus jetzt sicherer geworden – denn es ist bekannt, dass Orte wie Brücken, hohe Gebäude für Suizidversuche genutzt werden können.
Woraus haben sie das Kunstwerk ganz praktisch gebaut?
Thomas Langer: Wir haben in einem halben Jahr zwei Treppenhäuser auf diese Weise gestaltet. Dazu wurden aus Ton 120 bunte Kugeln geformt, die mit ungefähr 10 Litern Glasur bemalt wurden. Die Kugeln wurden ausgehöhlt, bei 950 Grad gebrannt, glasiert und noch einmal gebrannt. An insgesamt 240 Metern Stahlseilen haben wir sie dann mit Klemmen befestigt und in unserem 15 Meter hohen Treppenhaus wie ein Netz von oben nach unten aufgehängt.
Wie ist das Ergebnis bei den Leuten angekommen?
Thomas Langer: Sowohl von Mitarbeitenden und Besuchern, als auch von Patientinnen und Patienten gab es sehr viel positive Resonanz. Patientinnen und Patienten, die nach einer längeren Abwesenheit wiederkamen und das Ergebnis besichtigten, waren sehr stolz. Es ist für sie so wichtig wahrgenommen zu werden und ein Teil dieses großen Projektes zu sein. Gerade wenn Menschen an psychischen Erkrankungen leiden und sich darin vielleicht nicht ernst genommen fühlen, kann so eine Gemeinschaftsaktion ein Wir-Gefühl und vor allem Sicherheit vermitteln. Auch ich selbst war stolz – Unser Team erzielte sogar innerhalb des internen Preises „Vivantes ausgezeichnet“ den 1. Platz in der Kategorie „Soziales“!