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Wie Vivantes eine neue Corona-Intensivstation eröffnet hat: "Nichts unversucht lassen"

Mitten in der Pandemie eine neue Corona-Intensivstation eröffnen? Wie sich die Intensivpflegekräfte fortbilden und immer wieder neu motivieren, erzählt die Stationspflegeleitung der neuen Station 3 im Vivantes Klinikum im Friedrichshain, Iris Mehl, im Interview.

Intensivpflege: Stationen brauchten Entlastung

Frau Mehl, warum war es notwendig, eine neue, zusätzliche Intensivstation für COVID-Patient*innen zu eröffnen? Und wann wurde das klar?

Iris Mehl: "Schon zu Beginn der Pandemie vor mehr als einem Jahr war uns im Vivantes Klinikum im Friedrichshain schnell klar: Unsere internistische Intensivstation, die Station 1, wird bald voll mit Corona-Patient*innen belegt sein - und muss dann dringend entlastet werden. Daher hat unsere Pflegedirektorin mich angesprochen und gefragt, ob ich als Stationspflegeleitung meine bisherige Station, die Station 3, umwandeln würde. Ich habe dann eine Nacht drüber geschlafen - und ja gesagt. Wir haben dann im Frühjahr 2020 die nicht so schweren Corona-Fälle übernommen."

Die Station 3 gab es ja schon vorher. Wo sind denn jetzt die Patient*innen, die früher hier betreut wurden?

Mehl: "Ja, als ich die Station 3 als Stationspflegeleitung im Jahr 2019 übernommen habe, waren wir eine so genannte Überwachungsstation, mit Intermediate Care-Betten und Stroke Unit-Betten. Wir waren sozusagen ein Zwischenglied für Patient*innen von der Intensivstation, die noch eine besondere Überwachung brauchten bevor sie auf eine normale Station verlegt werden können. Die Stroke-Betten für die Schlaganfallpatient*innen hat mittlerweile die neurologische Station übernommen. Und da insgesamt weniger elektiv, operiert wird, wenn die Corona-Zahlen steigen, haben wir weniger Menschen zur „Überwachung“ hier. Was aber nicht für unsere Intensivstationen 1, 2 und 3 weniger Patient*innen bedeutete."

Die Intensivpflege für Menschen mit COVID-19 ist mit sehr viel zusätzlichem Aufwand verbunden. Wenn wir jemanden in die Bauchlage drehen müssen, brauchen wir bis zu vier Mitarbeitende und einen Arzt oder Ärztin. Und das dauert mit Vorbereitungen und der Drehung rund eine Stunde.

Stationspflegeleitung, Station 3, Vivantes Klinikum im FriedrichshainIris Mehl

Wie viele COVID-Patient*innen betreuen Sie und Ihr Team auf der Station 3 denn?

Mehl: Wir rechnen im Krankenhaus ja immer mit „Betten“. Also: Wir hatten vor der Pandemie 18 Betten – zehn für Überwachung-Patient*innen und acht für Schlaganfall-Patient*innen, die wir mit 23 Mitarbeitenden in der Pflege betreut haben. Jetzt haben wir 12 Betten für Covid-Patient*innen und sind 35 im Pflege-Team, laut den geltenden Personaluntergrenzen.

Sie betreuen jetzt also weniger Patient*innen mit mehr Mitarbeitenden im Pflegedienst?  Ist die Intensivpflege von Menschen mit Corona aufwändiger?

Mehl: Ja, das grundsätzlich ist richtig. Für Intensivpflege brauchen wir allgemein mehr Leute, und die Intensivpflege für Menschen mit COVID-19 ist mit sehr viel zusätzlichem Aufwand verbunden. Zum Beispiel, wenn wir jemanden in die Bauchlage drehen müssen: Dafür brauchen wir bis zu vier Mitarbeitende und einen Arzt oder Ärztin. Und das dauert mit Vorbereitungen und der Drehung rund eine Stunde. Wenn es dann mal mit dem Personal knapp wird, unterstützen wir uns mit den anderen Intensivstationen gegenseitig und helfen uns mit Personal aus.

Das nennt sich Teamwork…?

Mehl: Ja, und das bedeutet auch, aufeinander zu achten und tägliche gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Es ist beispielsweise wichtig, dass jede und jeder seine Pause nehmen kann. Ich nenne das „Teampflege“.

Fit gemacht für beatmete Patient*innen

Es gibt ja deutschlandweit zu wenige Intensivpflegekräfte - woher kam dann das zusätzliche Intensivpflegepersonal für die neue Station?

Mehl: "Neben der „Teampflege“ war die  interne Qualifizierung der Schlüssel. Die Fortbildungen haben wir selbst organisiert und im Hause möglich gemacht, wie etwa dreimal die Woche Schulungen  zu Beatmungsgeräten. Auf den Intensivstationen 1 und 2 haben sich dann meine Mitarbeiter*innen fortgebildet und für beatmete Patient*innen fit gemacht. Wir haben auch so genannte „Tandems“ gebildet: Eine erfahrene Pflegekraft und eine junge Pflegekraft haben eng zusammengearbeitet, damit die Jüngere die Erfahrenere jederzeit fragen und eventuell auch sofort Unterstützung bekommen konnte."

Hat die interne Qualifizierung denn gut geklappt und geht es mit den Fortbildungen weiter?

Mehl: "Nach der „ersten Welle“ haben wir uns intern fortgebildet und als dann im Oktober wieder mehr COVID-Patient*innen zu uns kamen, waren wir so sicher eingearbeitet, dass wir wussten, dass wir das gemeinsam schaffen können. Und es gibt ja auch immer neue Hygienevorschiften und neue Fachkenntnisse. Ärzt*innen, wie etwa aus der Pulmologie, kommen auf unsere Station und informieren uns über neuste medizinische Erkenntnisse. Es ist ja sehr wichtig, dass wir als Pflegende möglichst viel über die Erkrankung wissen. Auch die Hygienefachkräfte schulen uns und halten uns auf dem Laufenden."

Hygiene ist sehr wichtig, damit es keine Ansteckungen gibt…

Mehl: "…stimmt! Ich habe früher schon Intensivstationen geleitet und habe mich schon damals  zur Hygienekraft fortgebildet. Daher habe ich auch festgelegt, dass wir mehr Schutzausrüstung tragen als vorgeschrieben: Beispielsweise nehmen wir als zweites Paar Handschuhe immer lange Handschuhe, damit die Ärmel vom Kittel nicht hochrutschen können. Und alle tragen zu ihren Brillen zusätzliche Visiere, um uns doppelt vor der Viruslast in der Luft zu schützen. Es hat sich auch noch keine oder keiner aus meinem Team bei Patient*innen mit dem Coronavirus infiziert. Wenn es Ansteckungen gab, dann wenige und im privaten Bereich – und die wurden schnell entdeckt."

"Wir sind durchgeimpft. Das gibt uns auch mehr Sicherheitsgefühl."

Sind denn alle im Team geimpft und hat das etwas geändert?

Mehl: "Ja, wir sind quasi “durchgeimpft“, gleich Ende Dezember und Anfang Januar wurde dies allen angeboten. Wer da nicht geimpft werden konnte, konnte und kann dies nachholen. Das gibt uns auch mehr Sicherheitsgefühl."

Und aktuell, wie sieht es bei Ihnen auf der Station in der „dritten Welle“ aus?

Mehl: "Als sich diese dritte Welle ankündigte, habe ich zum Team gesagt: Wer, wenn nicht wir kann das schaffen?! Als im März immer mehr Corona-Patient*innen kamen, wussten wir schon mehr zur gut strukturierten Arbeitsabläufen. Jetzt haben wir also schon Routine. Wir beobachten: Es gibt anteilig mehr Menschen mit Corona, die intensivpflichtig sind. Außerdem sind die Patien*innen bei uns jünger als vorher. Wir hoffen, es wird nicht wieder so schlimm wie um Weihnachten herum. Es sind viele Menschen gestorben, zu viele. Das hat uns sehr mitgenommen."

Als sich diese dritte Welle ankündigte, habe ich zum Team gesagt: Wer, wenn nicht wir kann das schaffen?! Jetzt haben wir schon Routine.

Stationspflegeleitung, Station 3, Vivantes Klinikum im FriedrichshainIris Mehl

Warum es sich immer lohnt, für jeden einzelnen Menschen alles zu tun

Wie schaffen Sie und Ihr Team es, durchzuhalten?

Mehl: "Auch wenn alles anstrengend ist: Wir haben Erfolgserlebnisse. Das motiviert unglaublich. Es kam schon vor, dass es sehr schlecht um einen Patienten oder eine Patientin stand – und dann gab es doch noch die Wende, obwohl eigentlich keiner mehr daran geglaubt hatte. Das zeigt uns: Es lohnt sich immer, alles für jeden einzelnen Menschen zu tun und nichts unversucht zu lassen."

"Die Stimmung ist bei uns super. Das heißt nicht, dass es nicht unglaublich fordernd und anstrengend ist."

Wie ist denn die Stimmung im Team?

Mehl: "In der Corona-Pandemie sind wir enger zusammengewachsen. Wir passen untereinander auf uns auf. Auch wenn es für Außenstehende widersprüchlich klingt: Die Stimmung ist bei uns super. Das heißt nicht, dass es nicht unglaublich fordernd und anstrengend ist."

Welche Situation ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?

Mehl: "Die Töchter einer 83jährigen Patientin, die überlebt hat, haben sich mit sehr lieben Worten und einem Präsentkorb bei uns dafür bedankt, dass wir alle für sie getan und sie nie aufgegeben haben. Diese Dankbarkeit hat mich persönlich sehr berührt."

 

Fotos

Fotolia/Privat/Vivantes