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Corona-Lage auf Intensivstationen: "Wir stehen unter Anspannung"

Steigende Corona-Neuinfektionen – die Stimmung auf ihrer Intensivstation ist angespannt, sagen ein Pfleger und ein Oberarzt des Vivantes Klinikum Spandau. Die beiden Krankenhausmitarbeiter rufen jeden dazu auf, sich gegen Corona impfen zu lassen, damit weniger Menschen schwere Krankheitsverläufe haben. Sie haben auch schon ungeimpfte Angehörige davon überzeugt.
 

Es ist abzusehen, dass immer mehr Menschen mit Corona eine Behandlung in Krankenhäusern brauchen werden. Denn die Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt.
Das Personal auf den Intensivstationen bereitet sich auf mehr Covid-Patientinnen und -Patienten vor.

Aktuell sind Mitte November fast 100 Menschen mit Covid-Infektionen auf normalen Stationen, etwa 20 auf Intensivstationen. Bei Vivantes sind seit Beginn der Corona-Pandemie bis Mitte November insgesamt rund 8.000 Menschen mit Covid-19 im Krankenhaus behandelt worden, davon etwa 1.200 auf Intensivstationen.

Schon 8.000 Menschen mit Covid-19 versorgt

Eine der Intensivstationen von Vivantes, die Covid-19-Fälle versorgt, ist die ITS 1 der Klinik für Innere Medizin - Kardiologie und konservative Intensivmedizin im Vivantes Klinikum Spandau. Einblicke geben Stationspflegeleiter Marek Ronkowski und Oberarzt Dr. Hendrik Müller-Ide im Interview.

Wie ist die Stimmung im Team angesichts steigender Corona-Neuinfektionen, die das RKI meldet?

Marek Ronkowski, Stationspflegeleiter: „In der Intensivpflege stehen wir im Moment unter großer Anspannung, weil wir nicht wissen, wie die Pandemie sich entwickelt und was der nächste Tag für Veränderungen auf der Station mit sich bringt. Zurzeit ist unsere halbe Intensivstation eine Covid-Station. Wenn wir immer mehr Menschen mit Covid intensivmedizinisch versorgen müssen, wird eventuell wieder die ganze Station auf Covid umgestellt.“

Dr. Hendrik Müller-Ide, Oberarzt: „Trotz der in den letzten anderthalb Jahren gewonnenen Sicherheit im Umgang mit COVID-Patientinnen und -Patienten sind wir in der Tat angespannt, denn wir haben wieder mehr Menschen mit Corona auf unserer Intensivstation: Jüngere, meist ungeimpfte, und ältere, deren Impfschutz nicht mehr ausreicht: Aktuell sind es vier. Eine fünfte, junge Patientin konnten wir heute Morgen wieder auf die so genannte Normalstation verlegen – das hat uns alle gefreut, da wir anfangs befürchteten, sie künstlich beatmen zu müssen.“

Viel routinierter und mehr Erkenntnisse

Was ist jetzt anders als vor gut anderthalb Jahren – zu Beginn der Pandemie?

Dr. Müller-Ide: „Wir sind bei der intensivmedizinischen Versorgung von COVID-Patienten viel routinierter geworden als noch vor anderthalb Jahren, etwa in der Lagerungstherapie und bei den Besonderheiten der Beatmung. Da wir auch immer mehr Erkenntnisse über den Übertragungsweg haben, fühlen wir uns zudem weniger unsicher. Und wir haben die Impfstoffe. Die Kolleginnen und Kollegen unserer Intensivstation sind zu fast 100% geimpft und auch schon „geboostert“.“

Also fühlen Sie sich sicher, auch wenn Sie mit Infizierten arbeiten?

Dr. Müller-Ide: „Natürlich bin auch ich inzwischen dreifach geimpft. Das gibt mir zusätzliche Sicherheit. Ich persönlich habe im öffentlichen Nahverkehr mehr Sorge, mich mit Corona anzustecken als auf der Arbeit, denn wir tragen alle Schutzausrüstungen und es hat sich bisher auch kaum einer aus dem Team infiziert – und wenn jemand von uns sich angesteckt hat, dann eher außerhalb der Intensivstation im privaten Umfeld.“

In der Intensivpflege zu arbeiten ist nicht nur physisch, sondern auch psychisch belastend, heißt es - und seit Corona noch mehr?

Ronkowski: „Ja, die Pandemie hat bei uns allen Spuren hinterlassen, denn unsere Arbeit ist grundsätzlich psychisch sehr anstrengend – und seit Corona noch mehr. Es nimmt uns mit, wenn Menschen an Corona sterben nachdem wir sie manchmal wochenlang versucht haben zu retten. Und auch Gespräche mit Angehörigen, die die Patienten oft nicht besuchen durften, gehen uns nahe.“

"Nicht jeder kann das Erlebte gut wegstecken"

Wie kann man damit umgehen und wie schaffen Sie es persönlich, dies mit dem Druck umzugehen?

Ronkowski: „Nicht jeder kann das Erlebte aus der Pandemie gut wegstecken, selbst wenn es spezielle Angebote zur psychologischen Betreuung auch von Vivantes und von unserer klinikeigenen Psychologin gibt. Ich persönlich verbringe als Ausgleich Zeit mit meiner Familie und versuche auch, meinen Hobbys regelmäßig nachzugehen: Ich laufe gerne und schraube an alten Motorrädern rum. Dabei komme ich auf andere Gedanken. Ich finde allerdings auch, dass wir uns im Team seit der Corona-Pandemie untereinander noch mehr umeinander kümmern und füreinander da sind.“

Gibt es jetzt weniger Personal auf Intensivstationen?

Ronkowski: „Die Corona-Krise hat den Personalmangel auf den Intensivstationen verstärkt. Auch vorher war das Pflegepersonal hier schon knapp. Wir haben nun weniger fachlich qualifiziertes Pflegepersonal als vor der Pandemie, denn einige wollen nicht mehr auf einer Covid-Intensivstation arbeiten oder haben sogar den Beruf gewechselt. Natürlich wird Fachpersonal gesucht und wenn möglich eingestellt, es werden Mitarbeitende weiterqualifiziert – aber es gibt dennoch unbesetzte Stellen.“

"Es ist aufwändiger, COVID-Patienten intensivmedizinisch zu betreuen"

Dr. Müller-Ide: „Man muss auch wissen: Es ist vergleichsweise aufwändiger, einen COVID-Patienten auf der Intensivstation zu behandeln als zum Beispiel einen Patienten mit Herzinfarkt, denn bei COVID können wir den Krankheitsverlauf nur schwer voraussehen, und der richtige Zeitpunkt eingreifender Maßnahmen darf nicht verpasst werden. Dadurch ist eine kontinuierliche Beobachtung auf mögliche Veränderungen notwendig. Die Lagerungstherapie beispielsweise (wie das Drehen eines beatmeten Patienten auf den Bauch) ist auch nicht ungefährlich und nur mit großem Personalaufwand möglich – da brauchen wir vier bis fünf Mitarbeitende und der ganze Vorgang dauert 45 bis 60 Minuten.“
 

Warum Impfungen und Auffrischungen für alle wichtig sind

Außer mehr Fachpersonal - was könnte Ihnen auf den Intensivstationen helfen?

Dr. Müller-Ide: „Mehr Impfungen. Sich impfen oder auch „boostern“ zu lassen ist für alle wichtig. Denn so kommen die Menschen seltener zu uns auf die Intensivstationen – und stecken natürlich auch seltener andere Menschen an. Es gibt eigentlich kaum medizinische Gründe, die gegen eine Impfung mit mRNA-Impfstoffen (wie dem von Biontech) sprechen – es sei denn, man hätte nachweislich eine der ganz seltenen Allergien gegen einen bestimmten Impfstoff-Bestandteil. Bei den so genannten „Vektor-basierten“ Impfstoffen (wie dem von AstraZeneca) sind es zwei extrem seltene Vorerkrankungen, die gegen eine Impfung hiermit sprechen (das „Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS)“ und das „Kapillarlecksyndrom“). Hier wäre dann aber immer noch die Verwendung des jeweils anderen Impfstoffes möglich.“

Welche Menschen sollten sich nicht impfen lassen? Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen?

Dr. Müller-Ide: „Grundsätzlich sind Vorerkrankungen, auch Krebs- und Autoimmunerkrankungen sowie Allergien, kein Grund gegen eine Impfung – ganz im Gegenteil! Vor allem ältere Menschen haben ein größeres Risiko für schwerere COVID-Erkrankungen als andere – aber auch vorerkrankte junge Menschen, etwa mit Diabetes, Bluthochdruck oder auch nur Übergewicht. Eine vollständige Impfung kann die Krankheit ganz oder aber einen schweren Verlauf verhindern.“

Ungeimpfte überzeugt - durch Gespräche oder Besuche auf der Intensivstation

Haben Sie mit diesem Argument auch schon ungeimpfte Menschen überzeugen können?

Dr. Müller-Ide: „Ja, auf unserer Intensivstation wurden auch schon ungeimpfte Angehörige davon überzeugt, sich selbst doch noch impfen zu lassen. Entweder durch Gespräche oder einfach dadurch, dass sie gesehen haben, wie schwer man an Corona erkranken kann.“

 
 

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