Veröffentlicht am

Häusliche Gewalt in Corona-Zeiten: Hilfe für Frauen

Ob es durch häusliche Gewalt in Corona-Zeiten mehr Opfer geben wird als vor dem Beginn der Pandemie, dazu wird es erst in einigen Monaten aussagekräftige Zahlen geben. Allerdings steigt das Risiko, dass Frauen im Lockdown häuslicher Gewalt durch ihren Partner ausgesetzt sind, und zwar aus verschiedenen Gründen.

Prof. Dr. Stephanie Krüger betreut viele Frauen, die von ihrem Partner geschlagen werden oder psychischem Druck ausgesetzt sind, im Zentrum für Seelische Frauengesundheit am Vivantes Klinikum Spandau. Im Corona-Lockdown spitzen sich familiäre Konflikte zu, zugleich sind Hilfsangebote schwerer zugänglich, erläutert die Chefärztin im folgenden Interview.

Körperliche und seelische Gewalt im Lockdown

Was bedeuten die Ausgangsbeschränkungen für Frauen in gewalttätigen Partnerschaften?

Zunächst einmal ist da die räumliche Enge: Es gibt keine Möglichkeiten mehr, wo auch der Mann sich mal abreagieren kann, sei es beim Sport oder mit seinen Freunden. Das führt dazu, dass jemand, der sowieso schon Probleme mit der Impulskontrolle hat, noch schneller ausrastet als sonst. Wenn dann noch Existenzängste hinzukommen, weil man Sorge hat, den Job zu verlieren, oder mehr Alkohol getrunken wird, sinkt die Gewaltschwelle noch weiter.

Hat die häusliche Gewalt gegen Frauen während der Corona-Ausgangsbeschränkungen zugenommen?

In der Tat. Weil die Anrufe bei Beratungshotlines und Anzeigen bei der Polizei anfangs um circa 30 Prozent zurückgingen, schien es, als sei die Häufigkeit häuslicher Gewalt in Zeiten der Ausgangssperre zurückgegangen. Das lag aber offensichtlich nur daran, dass die Frauen noch weniger Gelegenheiten hatten, die Hilfe-Hotlines anzurufen oder sich an die Polizei zu wenden.

Häusliche Gewalt in Corona-Zeiten: Prof. Dr. Stephanie Krüger

Es scheint tatsächlich so zu sein, dass die Zahl der misshandelten Frauen und Kinder deutlich hochgegangen ist. Wir vermuten, dass sie im Berliner Raum etwa um zehn Prozent angestiegen ist.

Chefärztin des Zentrums für Seelische Frauengesundheit in Berlin-SpandauProf. Dr. Stephanie Krüger

Mehr Opfer häuslicher Gewalt wegen Corona

Inwiefern spüren Sie das in Ihrer Arbeit?

Im Zentrum für Seelische Frauengesundheit erleben wir häufiger als 2019 Frauen, die sich primär

  • mit einer Depression,
  • einer Angsterkrankung oder
  • aufgrund vermehrten Alkohol, Schmerz- oder Beruhigungsmittelkonsums

in der Ambulanz vorstellen und bei denen sich dann hinterher herausstellt, dass sie Opfer häuslicher Gewalt sind.

Welche Formen von Gewalt sind das?

Das ist zum einen physische Gewalt wie Schläge. Es gibt aber auch psychische Gewalt wie Erniedrigungen oder Drangsalierungen. Psychische Gewalt wird nicht ganz so häufig berichtet wie körperliche, aber mindestens als so belastend empfunden.

Ein neues Phänomen ist, dass Männer darauf hinwirken, dass die Frau ihren Job verliert, weil sie dann auch finanziell abhängig wird. Es gibt auch Hinweise darauf, dass sich Männer in dieser Zeit der Ausgangssperre an den Konten ihrer Frau bedienen und dann hinterher sagen: "Jetzt bist Du auf mich angewiesen."

Häusliche Gewalt: Hilfe bekommen bei Anlaufstellen

Was müsste passieren, um den Frauen zu helfen?

Frauen, die von Gewalt betroffen sind, müssten einen leichteren Zugang zu Anlaufstellen bekommen. In Familien, die den Behörden bekannt sind, sollte die sogenannte aufsuchende Hilfe durch Sozialarbeiter*innen wieder genehmigt werden.

Viele Frauen bleiben trotz Gewalterfahrungen bei ihrem Partner. Warum ist das so?

Tatsächlich dauert es im Schnitt sieben Jahre, bis sich eine Frau Hilfe sucht. Zum einen gibt es psychische oder finanzielle Abhängigkeiten. Zum anderen neigen Frauen dazu, Gewalt als einmaligen "Ausrutscher" abzutun, speziell wenn der Mann hinterher reumütig ist und sich entschuldigt. Zudem sind oft Kinder im Spiel, die man nicht zurücklassen möchte.

Um den Kreislauf zu durchbrechen, bedarf es jahrelanger Verhaltenstherapie. Denn oft liegen Gewalterfahrungen in der Kindheit zugrunde. Oder eine Selbstwertproblematik ist die Ursache.

Zieht sich dieses Phänomen durch alle sozialen Schichten?

Der Intellekt oder das Einkommen schützen nicht davor, häusliche Gewalt zu erdulden. Häufig sehe ich, dass gerade Frauen aus sehr gut situierten Verhältnissen ihren Status nicht verlieren möchten: Sie lassen die Gewalt lieber über sich ergehen statt sich zu trennen.

Nach Gewalt: Frauenhaus oder Paargespräch?

Frauen, die sich jetzt von ihrem Partner trennen wollen, haben es momentan schwer, eine eigene Wohnung zu finden. Wo finden sie Schutz?

Auch wenn die Hemmschwelle hoch ist, können Frauen als Notfall in einer akuten Belastungssituation immer eine psychiatrische Klinik wie unser Zentrum für Seelische Frauengesundheit aufsuchen. Auf diese Weise kann sich die Frau eine Weile der Situation entziehen.

Dort können Sozialarbeiter*innen helfen, indem sie zum Beispiel einen Platz im Frauenhaus vermitteln. Manche Frauen nehmen auch das Angebot eines Paargespräches an, in dem es auch darum gehen kann, dass sich der gewalttätige Partner Hilfe sucht.

Wie sollten sich Nachbarn oder Freunde verhalten, die mitbekommen, dass in einer Partnerschaft geschlagen wird?

Man kann immer anonym bei der Polizei Anzeige erstatten. Aber erfahrungsgemäß streitet das Paar den Konflikt ab, und die Polizei geht unverrichteter Dinge nach Hause. Freunde und Familie können eigentlich nur auf die Frau einwirken, nach dem Motto "Steter Tropfen …".

Wie lässt sich der Alltag während der Ausgangsbeschränkungen deeskalierend gestalten?

Statt in den Tag hineinleben sollte man sich einen Plan machen, der mit Aktivitäten gefüllt ist, die man – so gut es geht – auch unabhängig vom Partner umsetzen kann. Auch die Kinder sollten mit einbezogen werden, damit sie nicht ein Quell für Konflikte werden, weil sie sich langweilen und dem potenziell gewalttätigen Elternteil damit einen Vorwand bieten, zuzuschlagen. Auch Zeiten außerhalb der eigenen vier Wände sind wichtig, damit Aggressionen nicht überhandnehmen.

Service-Info

Zentrum für Seelische Frauengesundheit
Vivantes Klinikum Spandau
Neue Bergstraße 6
13585 Berlin
Telefon: 030 130 13 3019

Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen": Unter der Telefonummer 08000 116 016 und mit Online-Beratung erhalten Betroffene Hilfe – jeden Tag rund um die Uhr.

 

Frauenporträtfoto: istockphoto.com – 470610084, Fotos Stephanie Krüger: Werner Popp