Patient*innen-Kommunikation – „ich behandle keinen Tumor, sondern einen Menschen“

Wir sprechen oft von individualisierter Medizin. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Jede Therapie sollte individuell auf Patientinnen und Patienten abgestimmt sein. Ich denke aber, nicht nur die Therapie muss zum Patienten passen, sondern auch die Ärztin.
Wie meinen Sie das?
Es geht um mehr als Medizin. Ich behandle keinen Tumor, sondern einen Menschen. Bei einem Chirurgen ist das Wichtigste die „handwerkliche Fähigkeit“, ihn muss ich nicht unbedingt mögen, aber wenn ich mit einem Hausarzt oder einer Onkologin eine längere Bindung eingehe, sollte die Chemie stimmen.
Nicht immer kann man sich seine Ärztin oder seinen Arzt aussuchen…
Gerade in der Onkologie ist es üblich, eine Zweitmeinung einzuholen. Und auch den Hausarzt wählt man ja meist nicht nur, weil er seine Praxis um die Ecke hat… die Frage ist, ob die Grundhaltungen zusammenpassen, ob wir uns vertrauen. Patienten in Not sehen sehr genau, wen sie vor sich haben und was in uns vorgeht. Eine Patientin sagte mir einmal auf den Kopf zu: „Sie haben eine schlechte Nachricht für mich!“
Welche Fehler machen Mediziner*innen im Gespräch mit Patient*innen?
Manchen Ärzten fehlt gerade in dem Moment die Selbstreflexion. Wichtig ist, erstmal Abstand zum eigenen Befinden zu haben, um sich auf ein Gegenüber einzulassen. Wenn ich beispielsweise gerade unter großem Zeitdruck stehe, ist ein Erstaufklärungsgespräch schwierig. Zumindest muss ich versuchen, das nicht zu vermitteln.
Dann stelle ich meistens erst Fragen, bevor ich rede, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, was die Patientin oder der Patient selbst weiß. Sagt ein Mensch: „Ich hab was an der Lunge“, spreche ich anders mit ihm, als wenn er sagt „mein kolorektales Karzinom hat Lungenmetastasen gebildet“.
Helfen Sprachbilder bei der Kommunikation?
Bilder können helfen, ich habe in einer adjuvanten Therapie mal den Fußballvergleich gemacht „wir haben jetzt Halbzeit, es sieht gut aus, halten Sie in der zweiten Spielhälfte weiter durch“; wobei Bilder auch problematisch sein können. In den USA werden Kriegsvergleiche herangezogen, wie „War against cancer“, das halte ich für schwierig. Wir dürfen nie unterschätzen, wie feinfühlig Patientinnen insbesondere in so schweren Momenten sind. Zu einer jungen Patientin, damals kaum älter als ich, deren Mammakarzinom metastasiert hatte, sagte ich einmal im Hereinkommen „ich muss mich erstmal sammeln“ und schloss die Schublade meines Schreibtischs. „So schlecht ist es um mich bestellt?“, fragte die Frau. Sogar die Schublade wurde in diesem Moment zur Metapher.
Wie schaffen Sie den Spagat zwischen professioneller Distanz und Einfühlungsvermögen?
Meine Erfahrung ist, Onkologinnen bauen schnell Nähe auf und können trotzdem gut loslassen. Beides ist wichtig. Immer Distanz zu Patienten zu halten, halte ich nicht für professionell, ich bin meinen Patienten immer nah. Auf dem Weg nach Hause gehe ich im Geiste noch einmal alle „Zimmer“ durch und frage mich, ob alle gut versorgt sind. Danach kann ich beruhigt sein, denn meine Kolleginnen werden sich gut um sie kümmern, solange ich frei habe.

Jede Therapie sollte individuell auf Patientinnen und Patienten abgestimmt sein. Ich denke aber, nicht nur die Therapie muss zum Patienten passen, sondern auch die Ärztin oder der Arzt.
Kann man empathisches Kommunizieren lernen?
Natürlich gibt es Veranlagungen und Prägungen, aus einem Autisten wird kein Empathiker. Aber es gibt durchaus äußere Rahmenbedingungen, die wir für eine angenehme Kommunikation beachten können. Dafür sorgen, dass das Telefon nicht klingelt und uns unterbricht, dass wir den Raum schön gestalten. Oder ganz banale Regeln beachten: Uns erstmal selbst vorstellen, bevor wir das Gespräch beginnen…
Wie übermitteln Sie schwere Diagnosen?
Wenn ich zu jemandem sage „Sie haben Krebs“, hört er oder sie danach erfahrungsgemäß erst einmal nichts mehr Anderes. Die Information braucht Zeit anzukommen. Deshalb ist es wichtig, eine Pause zu machen, zu warten, ob eine Frage gestellt wird. Lieber gebe ich mehrere Male einzelne Informationen weiter, als einen Monolog zu halten.
Sie unterrichten angehenden Mediziner*innen auch Kommunikation. Wie geht das?
Ja, ich habe vor 20 Jahren einen Kurs entwickelt, vorher gab es das nicht. In Rollenspielen müssen sich die Studierenden in die Lage der Krebskranken versetzen. Das ist einerseits eine Zumutung, andererseits sehr instruktiv. Es wird sehr deutlich, wie groß die Unterschiede sind zwischen Menschen, die eher emotional sprechen und anderen, die eher sachlich sind. Es kann also hilfreich sein, nach dem Beruf des Patienten zu fragen. Oder wir konzentrieren uns auf den Händedruck: Ist die Hand kalt, warm, verschwitzt? Ist der Händedruck stark oder schlaff, wie lange drückt er die Hand? So erfahre ich sehr viel über den anderen und kann darauf eingehen.
Welche Rolle spielen Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede und wie gehen Sie damit um?
Die Sprache, das Verständnis, ist für eine vertrauensvolle Kommunikation entscheidend. Wenn es in komplexen Situationen Verständigungsprobleme gibt, holen wir in der Regel jemanden, der die Sprache des Patienten spricht, beispielsweise Gemeindedolmetscher. Es sollte niemand aus der eigenen Familie des Patienten sein, um diese nicht zusätzlich zu belasten. Auch sind die Situationen manchmal zu persönlich, oder die Angehörigen übersetzen nicht richtig, weil es sie selbst zu sehr belastet..
Die Klinik für Innere Medizin - Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin in Neukölln bietet Patient*innen unter anderem stationäre und ambulante Diagnostik von Blut- und Tumorerkrankungen, medikamentöse Behandlung aller onkologischen und hämatologischen Erkrankungen sowie Hochdosistherapie und autologe Blutstammzelltransplantation.