Suchterkrankungen bei Frauen
Einsam und abhängig – Angebot für suchtkranke Frauen
Abhängigkeit hat viele Gesichter – sei sie substanzbezogen wie bei Alkohol, Koffein, Medikamenten oder Tabak, oder seien es psychische Zwänge wie Online-, Kauf- oder Internetspielsucht. Aber auch zwischen Männern und Frauen gibt es große Unterschiede im Umgang mit Sucht. Deshalb wird am Vivantes Klinikum Spandau ab 1. September 2021 ein Schwerpunkt eröffnet, der sich gezielt an weibliche Betroffene richtet.
Therapie speziell für Frauen
Prof. Dr. Stephanie Krüger, Sie sind Leiterin des Departments für Seelische Gesundheit in Spandau. Warum ist ein eigener Schwerpunkt für Frauen mit Abhängigkeitserkrankungen notwendig?
Prof. Krüger: "Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass sich die Suchtproblematik zwischen Frauen und Männern in sehr vielen Aspekten voneinander unterscheidet – von den Ursachen der Sucht, über die Suchtmittel bis hin zu ihrem Verlauf. Entsprechend bieten wir Therapieangebote speziell für Frauen an."
Wenn wir bei den Ursachen beginnen – wo liegen diese häufig bei Frauen?
Prof. Krüger: "Nach wie vor sind Frauen heutzutage Mehrfachbelastungen ausgesetzt: Sie haben Kinder, einen Beruf und auch nicht alle Lebenspartner berücksichtigen das im Sinne einer gleichberechtigten Verteilung der Aufgaben. Auch Traumatisierungen sind häufige Ursache für Suchtmittelkonsum. Um das Tagespensum zu schaffen, oder um Ängste und Depressionen im Griff zu haben, wird zum Beruhigungsmittel oder zum Alkohol gegriffen. Nach ein paar Stunden lässt die Wirkung nach, sie nimmt weitere Medikamente, oder Alkohol und gerät schnell in eine Abhängigkeit. Sehr problematisch ist Alkoholkonsum in der Schwangerschaft- bis zu 24% der Schwangeren konsumieren zu viel davon, was Beruhigungsmittel oder Drogen betrifft, sind die Zahlen wahrscheinlich auch sehr hoch, aber nicht gut erfasst."
Warum es viele Frauen mit Essstörungen gibt
Sie haben Beruhigungsmittel und Alkohol angesprochen, welche Suchtmittel sind außerdem bei Frauen verbreitet?
Prof. Krüger: "Es gibt viele Frauen mit Essstörungen. Lebensmittel sind weniger stigmatisiert als Medikamente, dazu sehr leicht zugänglich. Es kommt beispielsweise mehrmals täglich zu Essanfällen, bei denen bis zu 6000 Kalorien z.B. über mehrere Pizzen, Pasta oder Schokolade aufgenommen werden. Auch der Internetkaufrausch ist verbreitet. Produkte sind im Überfluss vorhanden und müssen oftmals erst später bezahlt werden, das birgt die Gefahr, sich zu verschulden."
Wann ist die Grenze zwischen normalem Konsum und Sucht überschritten?
Prof. Krüger: "Zwischen Substanzmissbrauch und Sucht besteht ein erheblicher Unterschied, obwohl der Grad schmal ist, vom einen ins andere zu rutschen.Viele Menschen übertreiben es zum Beispiel mit Alkohol, müssen aber nicht behandelt werden. Letztlich ist entscheidend, ob es eine stetige Zunahme des Konsums gibt, oder ob er konstant bleibt, wie sehr das Verhalten den Alltag beeinträchtigt und wie hoch der individuelle Leidensdruck ist."
Manchmal dauert es lange, bis die eigene Abhängigkeit wahrgenommen wird
Wird die Sucht von den Betroffenen denn also solche überhaupt erkannt?
Prof. Krüger: "Manchmal dauert es lange, bis die eigene Abhängigkeit wahrgenommen wird. Nicht zuletzt, weil Sucht bei Frauen stärker gesellschaftlich stigmatisiert ist und die Schmerz- oder Schlafmittel oft heimlich genommen werden. Erst wenn die Beruhigungs-Tabletten einmal ausgehen, oder der heimliche Alkoholkonsum nicht ohne Weiteres möglich ist und dieFrau in der Folge eine Panikattacke erleidet, zu zittern oder zu schwitzen beginnt, fällt es auf. Wenn Kontrollverlust oder Entzugssymptome drohen. Oder wenn ein Lebenspartner oder die Freundin die Klinik kontaktiert, weil die Frau das Bett nicht mehr verlässt, die Selbstfürsorge schleifen lässt,, oder andere Verhaltensauffälligkeiten zeigt.
Wer nicht an die eigene Abhängigkeit glaubt, möchte doch vermutlich auch keine Therapie beginnen?
Prof. Krüger: "Doch, bei Frauen erleben wir sogar häufiger, dass sie einsichtig sind, sich für den unkontrollierten Konsum schämen und Beratung suchen. Viele haben ein schlechtes Gewissen und wollen etwas verändern. Dann gilt es, dran zu bleiben, durchzuhalten und herauszufinden, was einem gut tut. Statt in schwierigen Momenten zum Suchtmittel zu greifen, suchen wir der Gesundheit zuträglichere Alternativen, oder eben auch eine Therapie."
Das klingt sehr einfach…
Prof. Krüger: "Natürlich ist es ein langer Prozess, in dem wir den Ursachen des Suchtproblems auf den Grund gehen und helfen die Verhaltensweisen langfristig zu verändern. Bei manchen steht hinter der Sucht ein Trauma aufgrund von körperlicher oder sexueller Gewalt in der Kindheit, oder einer problematischen Erziehung, die zu Depressionen oder Angststörungen führt. Wir haben Expertinnen mit einer Zusatzausbildung zur Suchttherapie im Team, die hier mit viel Erfahrung helfen können. Auch für die anderen Dimensionen wie Verschuldung haben wir Sozialarbeiterinnen, die die Betroffenen beraten. Aber wer sich bewusst macht, dass er gegen eine Abhängigkeit vorgehen möchte, hat den wichtigsten Schritt schon getan."