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Stark gegen das Virus – Experteninterview mit Prof. Dr. Diana Rubin

Welche Rolle spielt eine ausgewogene Ernährung bei Infektionen wie dem neuartigen Coronavirus? Prof. Dr. Diana Rubin leitet das Vivantes Zentrum für Ernährungsmedizin mit Standorten im Vivantes Humboldt-Klinikum und im Vivantes Klinikum Spandau. Dort berät sie Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen Krankheitsbildern, zum Beispiel Krebs, Darmerkrankungen oder vor und nach chirurgischen Eingriffen. Denn wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen: Bei mangelernährten Menschen kann es beispielsweise Probleme bei der Wundheilung und Genesung geben.

Kann eine gesunde Ernährung dazu beitragen, dass sich Menschen nicht so leicht mit dem Corona-Virus infizieren?

Prof. Dr. Diana Rubin: Wie bei so vielen Fragen im Zusammenhang mit den Corona-Infektionen liegen uns dazu aktuell noch keine wissenschaftlichen Daten vor. Als Ernährungsmediziner gehen wir aber davon aus, dass eine gesunde und ausgewogene Ernährung allgemein vor Infektionskrankheiten schützt. Denn wir wissen, dass Personen mit Mangelerscheinungen und Untergewicht, wie sie häufig bei chronischen Erkrankungen auftreten, dafür anfälliger sind. 

Müssen Personen mit Mangelernährung auch mit einem schwereren Verlauf der Krankheit rechnen?

Chronische Erkrankungen scheinen ein Risikofaktor für eine Infektion zu sein. Wie bei anderen schweren Infektionserkrankungen weisen COVID-19-Patient*innen eine starke Appetitlosigkeit auf und essen oft über mehrere Tage sehr wenig. Hinzu kommt ein für diese Erkrankung charakteristischer Geruchs- und Geschmackverlust. Wer normal ernährt oder wie zwei Drittel der Deutschen übergewichtig ist, für den ist das in der Regel leicht zu verkraften. Aber alte und oftmals mangelernährte Menschen verlieren schnell an Substanz, was die Genesung erschwert.

Welche Nahrungsmittel befördern die Genesung bei diesen Menschen?

Wir empfehlen keine speziellen Nahrungsmittel, sondern bieten individualisierte Beratungen für unsere Patienten und Patientinnen an. Im Vordergrund steht eine ausreichende Eiweißzufuhr, im Krankenhaus über angereicherte Nahrung oder Trinknahrung. Zu Hause können geschwächte ältere Menschen auf Milchprodukte, Ei, Fisch und Fleisch zurückgreifen – am besten kombiniert mit Bewegung, um die verlorene Muskelmasse wieder aufzubauen.

Welche Lebensmittel stärken das Immunsystem?

Durch die wissenschaftliche Literatur lässt sich nicht belegen, dass es spezielle Lebensmittel gibt, die das Immunsystem stärken. Viele Vitamine und Mineralstoffe sind an der Regulation des Immunsystems beteiligt, so dass eine ausgewogene Ernährung reich an Vollkornprodukten, Obst und Gemüse der Schlüssel zum Erfolg ist. Letztlich ist eine vollwertige Ernährung nach den Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ratsam. Sie enthält alle Mikro- und Makronährstoffe in der Menge, die der Körper braucht. Nahrungsergänzungsmittel sind für Normalbürger*innen nicht notwendig.

Einige Verbraucher fragen sich, ob das Virus beispielsweise über Fleisch oder andere Lebensmittel übertragen wird – eine berechtigte Sorge?

Das Bundesinstitut für Risikobewertung schätzt das Risiko zur Übertragung des Virus über Lebensmittel als gering ein. Zudem ist es hitzeempfindlich, wird also beim Kochen oder Braten abgetötet.

Viele Menschen „hamstern“ momentan Nudeln, Dosenkost und Mehl. In welchem Umfang sollten sie verzehrt werden?

Die genannten Lebensmittel können Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung sein, gerne in der Vollkornvariante. Dennoch sollen auch frische Lebensmittel das Speisenangebot ergänzen. Wichtig für eine ausgewogene Ernährung sind also darüber hinaus Obst und Gemüse, Milchprodukte und Fisch sowie Fleisch in Maßen. Nudeln allein sind keine vollwertige Ernährung. Wer momentan nicht so häufig einkaufen gehen möchte, kann auf Dosen-, oder besser noch Tiefkühl-Gemüse zurückgreifen, so enthält das Gericht mehr Vitamine und Mineralstoffe. Wird aus Mehl Brot gebacken, ist das unproblematisch. Kuchen oder Pizza mit viel Zucker, Salz und Fett hingegen ist weniger empfehlenswert. Insgesamt gilt: Weil sich die meisten Menschen momentan weniger bewegen, da beispielsweise der Weg zur Arbeit wegfällt, sollten sie ihre Kalorienzufuhr insgesamt etwas reduzieren.

Kann die Pandemie eine Chance sein, sich gesünder zu ernähren? 

Wenn man ansonsten viel unterwegs ist, wird auf die Schnelle oft Fastfood oder nicht optimales Kantinenessen gewählt. Die momentane Zeit birgt die Chance, über den eigenen Lebensstil und die Ernährung nachzudenken. Wer mehr Zeit zu Hause verbringt, sollte die Möglichkeit nutzen, mehr selbst zu kochen anstatt Fastfood zu kaufen. Es macht Freude neue, gesunde Rezepte auszuprobieren und sich mit Freunden oder Familie darüber auszutauschen.

Lassen sich diese Impulse später ins Arbeitsleben übernehmen?

Ja, wenn man sich Rezepte aussucht, die einfach sind, gesunde Komponenten enthalten und sich gut mitnehmen lassen. Ein Wochenplan kann helfen, zum Beispiel am Wochenende mehrere Gerichte zuzubereiten, eventuell einzufrieren und sie über die Woche verteilt zu essen. Damit kann man manche Kantine übertreffen.

Im Homeoffice essen viele Menschen mehr Süßes als im Büro. Was sind gesunde Alternativen? 

Sie sollten sich am Tagesanfang bereits Gedanken machen und mit einem richtigen Frühstück in den Tag starten. Bereiten Sie sich morgens vielleicht eine Kanne Tee und etwas Rohkost zu. So ist ein Snack am Schreibtisch verfügbar und man gerät nicht in Versuchung, wenn der Heißhunger kommt. Die Entscheidung fällt aber schon im Supermarkt: Wer nichts Süßes zu Hause hat, der isst es auch nicht. Auf keinen Fall sollte man hungrig einkaufen gehen oder zu Peak-Zeiten, um möglichst bewusst und entspannt auswählen zu können.

Einen Patientenratgeber zu Ernährungsfragen für bestimmte Erkrankungen finden Sie auf der Seite des Zentrums für Ernährungsmedizin.