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Delir: Pflege gegen das Chaos im Kopf

Ein Delir ist ein Zustand akuter Verwirrtheit, oft nach einer OP. Aber man kann vorbeugen - wie ein Präventionskonzept von Pflegekräften bei Vivantes zeigt.

Ein Delir wird häufig ausgelöst infolge einer Narkose oder eines operativen Eingriffs - und sollte behandelt werden, um mögliche Folgeschäden zu vermeiden. Bei Vivantes hat die Pflege ein Präventionskonzept entwickelt - und betreut Patientinnen und Patienten mit einem Delir ganz ohne Medikamente. 

Doris W. hatte ihren Ehemann Horst (69) am Nachmittag in die Klinik gebracht, am nächsten Morgen stand die Hüftoperation an. Beim ersten Krankenbesuch bemerkte sie sofort: „Irgendetwas stimmt nicht.“ Ihr Mann sah sich unruhig im Krankenzimmer um, nestelte nervös an seiner Armbanduhr und reagierte ungewohnt gereizt auf ihre Fragen. „Er war anders als sonst.“

„Ein typisches Verhalten bei einem post-operativen Delir“, urteilt Tina Kling, Bereichspflegeleiterin Psychiatrie im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum (AVK) und Vivantes Wenckebach-Klinikum (WBK).  

 

Nach einer OP oder einem Aufenthalt auf der Intensivstation kann ein Verwirrungszustand auftreten, beispielsweise in Form von Bewusstseins-, Aufmerksamkeits- und Orientierungsstörungen, Reizbarkeit, Angst, Schmerzen oder Unruhe. Vereinzelt kommen auch Halluzinationen dazu. Früher nannte man es ‚Durchgangssyndrom‘, heute ‚Delir‘.

Bereichspflegeleiterin Psychiatrie im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum und Vivantes Wenckebach-KlinikumTina Kling

Vereinzelt kommen auch Halluzinationen dazu. Früher nannte man es ‚Durchgangssyndrom‘, heute ‚Delir‘.“ Davon Betroffene sind häufig älter als 65 Jahre, aber auch Jüngere kann es treffen.

Co-Therapeuten: Familie und Freunde 

Nicht immer nehmen Delirante ihren Zustand selbst wahr, umso wichtiger sind Hinweise von Angehörigen und Freunden. Die reagieren oft verstört und können sich schwer darauf einstellen, ziehen sich manchmal sogar zurück.

Für Tina Kling ist das der falsche Weg: „Vertraute Menschen vermitteln Sicherheit und Konstanz. Angehörige haben die Rolle von Co-Therapeuten, für den Gesundungsprozess sind sie sehr wichtig.“ Gemeinsam mit  Christin Schultz, Stationspflegeleitung in der Klinik für Chirurgie – Viszeral und Gefäßchirurgie im Schöneberger Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum, entwickelte Tina Kling ein umfassendes Konzept zur Prävention und pflegerischen Therapie bei Delir. 
 

Zunächst war uns wichtig, grundsätzlich über das Thema zu informieren und um Verständnis zu werben. Unser erster Ansatz: Pflegepersonal schulen und entsprechendes Handwerkszeug zur Verfügung stellen. Den Fokus legen wir dabei auf die Prävention – ohne Medikamente. Einige Beispiele: Förderung der Orientierung, ausgeglichener Tag-Nacht- Rhythmus und Beschäftigung.

Stationspflegeleitung in der Klinik für Chirurgie – Viszeral und Gefäßchirurgie im Vivantes Auguste-Viktoria-KlinikumChristin Schultz

Ausgeglichener Tag-Nacht-Rhythmus

Tina Kling erklärt: „Patienten und Patientinnen langweilen sich oft im Krankenhaus, liegen viel und warten auf das Essen oder die Visite. Häufig ist hier bereits die erste Ursache für einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus ausgemacht: Liege ich den ganzen Tag im Bett, nicke ich in der Regel ein und kann nachts dann nicht gut schlafen. Dabei gibt es so viele Möglichkeiten der Beschäftigung – auch im Krankenbett.“

Infos und eine Beschäftigungsbox 

Zur Unterstützung des Pflegeteams in seiner täglichen Arbeit gestalteten Tina Kling und Christin Schultz Informationsflyer und stellten eine „Beschäftigungsbox“ zusammen, um die Kognition der Patientinnen und Patienten zu fördern. Sie enthält Spiele, Rätsel, Mal-Utensilien und kleine
Geschicklichkeitsaufgaben.

In der Ruhe liegt die Kraft

Vertrauen ist die beste Basis, um Patientinnen und Patienten zu „therapieren“. Im vollen Ausmaß des Delirs können diese sehr aggressiv werden, auch körperlich, und misstrauisch gegenüber den Behandlungen und durchzuführenden Pflegemaßnahmen. Für das therapeutische Team bedeutet das eine große Herausforderung.

Appell an die innere Haltung

„Neben der Vermittlung von Tipps und Tricks zur Prävention appellieren wir daher in unseren Intensivschulungen verstärkt an die innere Haltung. Es ist schwer, aber unbedingt notwendig, auch im Stress geduldig zu bleiben. Eine Patientin oder ein Patient in der Hochphase des Delirs ist selbst für überzeugend vorgetragene Argumente nicht zugänglich. Da wir jedoch präventiv handeln, sollte es im besten Fall gar nicht so weit kommen“, sagt Christin Schultz.

Therapie ohne Medikamente

Nicht nur die Pflegekräfte, die den Großteil der Zeit mit den Patienten und Patientinnen verbringen, auch die Ärztinnen und Ärzte wissen um die nichtpharmakologische Therapie, also um Therapiealternativen. „Mit jedem gemeinsam erreichten großen und auch kleinen Erfolg, mit jedem abgewendeten Delir wachsen Begeisterung und Engagement für das Thema“, berichten die beiden Pflegeleiterinnen.

Für die immer älter werdenden Patientinnen und Patienten sind diese Maßnahmen die beste Voraussetzung, um ihre Gesundheit zu verbessern – während eines Krankenhausaufenthalts und auch danach.

Broschüre: Delir – Prävention im Krankenhaus

Kleiner Präventionskoffer

Wer sich für eine Operation oder längere Behandlung in die Klinik begibt, sollte Dinge mitnehmen, die ihm wichtig sind und dabei helfen, sich wohlzufühlen. Einige Beispiele:
• Lesebrille, Hörgerät, Zahnprothesen
• Private Fotos
• Lieblingsgetränk und Lieblingsspeise
• Persönliche Hygieneartikel
• Kreuzworträtsel, Buch, Musik oder Strickzeug
• Kalender und Wecker
• Schreibutensilien
• Schlafmaske
• Informationen zu: Schlafgewohnheiten, Medikamenten, Abneigungen, Unverträglichkeiten
• Telefonnummern von wichtigen Ansprechpartner*Innen