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Ein künstliches Kniegelenk austauschen – was tun, wenn das neue Implantat nur schlecht verankert werden kann?

Menschen werden älter und immer mehr tragen ein künstliches Kniegelenk in sich. Dadurch steigt die Zahl derer, die irgendwann einen Austausch benötigen. Dr. Dirk Leutloff, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und spezielle orthopädische Chirurgie aus dem Vivantes Humboldt-Klinikum erklärt, welche Herausforderungen das mit sich bringt und welche innovativen Möglichkeiten es gibt.

Warum muss man bei Menschen mit künstlichem Kniegelenk das Implantat wechseln?

Der häufigste Grund für eine Wechseloperation ist der normale Verschleiß. Das ist wie bei Autoreifen: Je nachdem, wie viel man unterwegs ist, sind sie irgendwann abgefahren. Bei der Knieprothese liegt zwischen den Metallkomponenten eine Kunststoffscheibe aus Polyethylen, die sich im Laufe der Zeit abnutzt. Diese Abnutzung bestimmt maßgeblich die Lebensdauer der Prothese. Im Durchschnitt liegt sie bei etwa 15 Jahren. Es gibt aber auch andere Gründe für eine Revisionsoperation, zum Beispiel Infektionen, eine Lockerung der Prothese oder Knochenbrüche im Bereich des Implantats.

Was unterscheidet eine Revision- von der Erstimplantation einer Knieprothese?

Die Erstimplantation einer Knieprothese ist in der Regel weniger komplex, da die anatomischen Strukturen wie Knochen, Sehnen und Bänder meist noch vollständig erhalten sind.
Für das Einsetzen der Prothese muss allerdings ein Teil des Knochens entfernt werden. Im Laufe der Zeit kann es zusätzlich durch Abrieb zu Knochenverlust kommen, der sogenannten Osteolyse.
Auch die Muskulatur kann sich nach der Operation zurückbilden, und es entstehen Narben im Bereich der Weichteile. Diese können die Beweglichkeit und die Funktion des Gelenks einschränken. Abschließend bleibt die Stabilität des Gelenks zu erwähnen, die nicht immer durch die natürlichen Bänder gewährleistet ist und daher durch das Kunstgelenk zusätzlich unterstützt werden muss.

Was bedeutet das für die Revisionsoperation?

Durch die körperlichen Veränderungen – insbesondere den Verlust von Knochensubstanz und geschädigte Bandstrukturen – gestaltet sich die Verankerung der neuen Prothese deutlich anspruchsvoller.
Eine Standardprothese reicht in der Regel nicht mehr aus. Stattdessen werden spezielle Implantate und sogenannte Augmentate, also metallische Knochenersatzstücke, benötigt, um Knochendefekte auszugleichen und die Prothese sicher zu fixieren. Die anatomischen Voraussetzungen sind dabei individuell sehr unterschiedlich.

Welche Risiken drohen, wenn eine Prothese nicht ausreichend stabil verankert werden kann?

Haltbarkeit und Funktion sind die zwei wichtigsten Ziele bei einer Wechseloperation. Durch eine mangelnde Verankerung könnte sich das Gelenk  frühzeitig lockern, was zu einer schlechten Funktion, Instabilität und zu Schmerzen führen könnte und eine weitere Operation notwendig macht.

Sie bieten im Humboldt-Klinikum eine relativ neue Methode an, inwiefern ist diese innovativ?

Bisher wurde der Prothesenstiel meist mit Zement im Knochen befestigt. Wenn viel Knochen fehlte, gab es langfristig nicht genug Verankerungsfläche für eine lange Haltbarkeit. Mit der  neuen Verankerungsphilosophie wird der gesamte Knochenraum ausgefüllt, sodass es eine größtmögliche Kontaktfläche gibt. Zudem ist die Oberfläche der Prothese rau und erleichtert so das direkte Festwachsen des  Knochens. Das erhöht die Haltbarkeit und Stabilität des Gelenkersatzes maßgeblich. Der Vorteil dieser Methode ist darüber hinaus, dass die Implantate modular einsetzbar sind. Jedes Teil gibt es einzeln und in verschiedenen Formen, ein bisschen wie in einem Stabil-Baukasten. So können wir den Oberschenkel mit einem genau für den Patienten individuell angepassten Prothesenstiel aufbauen.

Die Methode existiert seit 2022, Sie nutzen sie erst seit Kurzem, warum?

Wir wollten zunächst erste Daten, Erfahrungsberichte und Ergebnisse aus Studien und Registern abwarten, daher waren wir nicht die ersten. Die Patientensicherheit spielt für uns eine sehr wichtige Rolle. Die vorliegenden Ergebnisse waren dann aber sehr vielversprechend, sodass wir diese Option nun trotzdem noch als frühe Anwender nutzen.  Natürlich gibt es noch keine Langzeitergebnisse. Daher beobachten wir alle Patient*innen engmaschig und haben die veröffentlichten Ergebnisse weiter im Fokus. Da aktuell deutschlandweit etwa 250 000 Knieprothesen pro Jahr eingesetzt werden, wird der  Bedarf an Revisionsoperationen absehbar stark ansteigen. Für diese Situation brauchen wir zukünftig Lösungen. Umso erfreulicher ist es, dass wir dafür nun eine weitere Alternative dazugewonnen haben.

Wie waren Ihre persönlichen ersten Operationserfahrungen?

Sehr gut, wir hatten bisher sechs Fälle von Patient*innen, bei denen wir  das neue Verfahren nutzen konnten. Alle hatten bereits mehrere Prothesenwechsel hinter sich und wir konnten mit den üblichen Implantaten keine zufriedenstellende Haltbarkeit mehr erreichen. Die Patient*innen haben sich sehr gefreut, dass wir ihnen eine so gute Alternative anbieten konnten.
Eine OP, die nicht mehr machbar schien, wurde für sie ermöglicht und darum geht es am Ende!