Kopfschmerzen bei Kindern
Prof. Dr. Hermann Girschick, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Vivantes Klinikum im Friedrichshain, erklärt, worauf Eltern achten sollten, wenn der Nachwuchs über Kopfweh klagt.
Wenn die Kopfchmerzen aber auch nach dem Ausruhen am nächsten Tag noch bestehen, sie das Kind erheblich einschränken, es auf lieb gewonnene Gewohnheiten verzichtet, sich zurückzieht oder zusätzlich Alarmsymptome wie Erbrechen oder Gewichtsabnahme hinzukommen – dann sollte professionelle Hilfe gesucht werden.
Wenn Jenny mit den Augen blinzelt oder mit den Fingerspitzen gegen die Schläfe drückt, dann ahnt ihre Mutter Vera: Bei der Elfjährigen ist ein Kopfschmerzanfall im Anmarsch. Es pocht unter der Schädeldecke, drückt gegen die Stirn und erzeugt ein andauerndes Spannungsgefühl. „Mindestens zwei- bis dreimal im Monat hat Jenny eine Kopfschmerzattacke“, berichtet Vera, „da hilft meist nur Bettruhe. Fenster auf, Gardinen zu, kein Licht, kein Lärm. Mit Glück ist es am nächsten Tag vorbei.“
Viele suchen gar keine ärztliche Hilfe
Laut Studien leiden über 40 Prozent aller Kleinkinder, Kinder und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren gelegentlich an Kopfschmerzen. Die Symptome sind unterschiedlich. Der größte Teil empfindet Spannungskopfschmerzen – der Kopf fühlt sich an, als würde er von einem Ring zusammengequetscht. Von den 7- bis 14-Jährigen haben knapp 10 Prozent sogar mit Migräne zu kämpfen, die zwar genetisch bedingt ist, allerdings nicht ausschließlich. Damit erreichen die Kinder heute weitaus früher die Kopfschmerzhäufigkeiten, die normalerweise erst im Erwachsenenalter auftreten. Expert*-innen gehen von einer bis zu achtmal höheren Betroffenheitsanzahl aus, denn viele der Leidenden suchen sich keine ärztliche Hilfe.
Komplexe Ursachen
Kopfschmerzen sind eine komplexe Erkrankung, Mediziner*innen unterscheiden zwischen weit mehr als 200 Arten. Ebenso komplex ist auch die Suche nach ihren Ursachen. Es gibt keine allgemeingültige schlüssige Erklärung, zu viele Einzel-aussagen – in vielen Fällen auch nicht hinreichend zu überprüfen – lassen das nicht zu.
Als Ansatzpunkte gelten allerdings beispielsweise Verhalten und Umwelt: Der Alltag und damit das soziale Umfeld von Kindern und Jugendlichen haben sich verändert, das Leben ist unruhiger geworden. Meist sind beide Elternteile berufstätig, die Globalisierung erfordert mehr Ortswechsel als früher, zeitlicher Druck und die Belastungen für jeden Einzelnen sind gestiegen.
Zusätzlich sehen sich Heranwachsende einer Vielzahl an Anregungen und Ablenkungen gegenüber: Etwa das immer verfügbare Internet, Computer, Smartphone, aber auch eng getaktete Aktivitäten in der Freizeit, wie Nachhilfe, Musik, Theatergruppe, Sport und mehr – all dieses sollte in Maßen und nicht übertrieben genutzt und betrieben werden.
Genug Schlaf, Essen und Trinken?
Auch Ernährungs- und Trinkverhalten spielen eine wichtige Rolle: Nicht selten fehlen regelmäßige Mahlzeiten, oft kommen Schüler*innen ohne Frühstück in den Unterricht, ernähren sich den Tag über von zuckerhaltigen Snacks und trinken viel zu wenig. Leistungsdruck, Schulstress, Mobbing sowie mangelnde Bewegung tragen ebenfalls dazu bei, dass Kinder und Jugendliche vermehrt unter Kopfschmerzen leiden. Ebenso das Schlafverhalten: Ausreichender Schlaf hilft, das Aufkommen von Spannungskopfschmerzen und Migräne zu verringern, Alkohol- und Tabakkonsum hingegen wirken dem entgegen. Hilfreich ist ein Kopfschmerz-tagebuch, in dem notiert wird, wann und wo die Schmerzen auftreten. So lassen sich die Anfälle besser einschätzen: Kommen sie zum Beispiel häufig vor Klassenarbeiten, bei Computerspielen, am Wochenende? Ist der Auslöser bekannt, kann man sich zumindest darauf einstellen, und die Angst vor einer Schmerzattacke nimmt ab.
Worauf Eltern achten sollten
Wann der richtige Zeitpunkt ist, sich für das Kind ärztliche Hilfe zu suchen, lässt sich nicht allgemeingültig klären. Gerade bei jüngeren Kindern fällt es oft schwer, Kopfschmerzen überhaupt zu erkennen. Sie können den Schmerz noch nicht sicher benennen, verwechseln etwa Kopf- mit Ohren-, Zahn- oder Bauchschmerzen. Da hilft nur eine genaue Beobachtung über einen längeren Zeitraum hinweg: Wie verhält sich der Sohn, die Tochter? Leiden sie nur gelegentlich unter Kopfschmerzen, sind aber ansonsten munter und nehmen lebendig am Alltag teil, dann ist der Besuch einer Ärztin oder eines Arztes nicht dringlich.
„Wenn die Schmerzen aber auch nach dem Ausruhen am nächsten Tag noch bestehen, sie das Kind erheblich einschränken, es auf lieb gewonnene Gewohnheiten verzichtet, sich zurückzieht oder zusätzlich Alarmsymptome wie Erbrechen oder Gewichtsabnahme hinzukommen – dann sollte professionelle Hilfe gesucht werden. In seltenen Fällen könnten sich hinter dieser Art von Kopfschmerzen zum Beispiel auch eine Infektion oder ein Hirntumor verbergen“, so Prof. Dr. Hermann Girschick, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Vivantes Klinikum im Friedrichshain.
Medikamente nicht einfach so geben
Und: „Medikamente bitte nur nach Absprache mit Ärztin oder Arzt verabreichen!“ Ist ein symptoma tischer Kopfschmerz auszuschließen, empfiehlt Prof. Dr. Girschick auch die Anbindung an eine Kopfschmerzsprechstunde, in der das Kind multidisziplinär behandelt und unterstützt werden kann: „In den beiden Sozialpädiatrischen Zentren von Vivantes kümmern sich spezialisierte Ärzt*innen, Psycholog*innen und Physiotherapeut*innen um die jungen Patient*innen."