Frühe Rehabilitation nach Schlaganfall: Gehen lernen in der Robotik-Ambulanz

„Sobald es medizinisch vertretbar ist, fangen wir an“
Die frühe Rehabilitation nach einem Schlaganfall entscheidet oft über die langfristige Selbstständigkeit. Oberarzt Dr. Anatol Kivi, Oberarzt der Klinik für Neurorehabilitation & Zentrum für Schwerst-Schädel-Hirnverletzte im Vivantes Klinikum Spandau forscht dazu und erklärt, wie moderne Robotik beim Gehen lernen hilft und welche Rolle Angehörige spielen.
Warum ist die Frührehabilitation nach einem Schlaganfall so entscheidend?
Dr. Anatol Kivi: Die ersten Wochen und Monate nach einem Schlaganfall sind für die Erholung des Nervensystems besonders wichtig. Das liegt daran, dass in dieser Phase das Gehirn besonders lernfähig ist. In der Frührehabilitation beginnen wir oft direkt nach der Intensivstation mit gezielten Therapien, die individuell auf die Patient*innen abgestimmt sind. Selbst kleinste Bewegungen oder Reize können helfen, das Gehirn zur Neubildung von Verbindungen anzuregen. Ziel ist es, Funktionen wie Greifen, Sprechen, Schlucken, Wahrnehmen oder Gehen so früh wie möglich zu fördern. Die Prognose für Schlaganfallpatient*innen ist umso besser, je früher (spezifische) Therapien beginnen, wahrscheinlich auch für die langfristige Selbstständigkeit.
Wann beginnt die neurologische Frührehabilitation – und was passiert dabei?
Wir beginnen oft schon auf der Intensivstation oder der Schlaganfallstation: sobald es medizinisch vertretbar ist. Im besten Fall startet die Rehabilitation wenige Tage nach dem Ereignis. Bei schwerst-beeinträchtigten Patient*innen, die manchmal sogar noch beatmet oder bewusstseinsverändert sind, beginnen wir mit passiven und – sobald möglich – mit aktiven Bewegungsübungen, Schluck- oder Kommunikationstraining. Alles wird in einem multiprofessionellen Team eng begleitet und immer wieder individuell an die Bedürfnisse unserer Patient*innen angepasst.

Robotiksysteme helfen insbesondere bei schweren Lähmungen oder Gleichgewichtsstörungen, erste Schritte in aufrechter Körperposition zu trainieren.
Wer betreut die Patientinnen und Patienten in der neurologischen Frühreha – und wie arbeitet das Team zusammen?
Neben Ärzt*innen und Pflegekräften arbeiten in unserem multiprofessionellen Team Physio- und Ergotherapeut*innen, Logopäd*innen, Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen Hand in Hand. Wir erstellen Therapiepläne, tauschen uns täglich aus und reagieren flexibel auf Veränderungen. Unser gemeinsames Ziel ist: Funktionen wiederherstellen, Komplikationen vermeiden, den Grad der Selbstständigkeit maximal zu fördern und damit Patient*innen für ihren individuellen Lebenskontext Perspektiven zu schaffen.

Welche Therapien fördern Bewegung und Gleichgewicht nach einem Schlaganfall?
Etwa zwei von drei Patient*innen weisen Defizite der Mobilität auf. Wir nutzen ein breites Spektrum an Therapien, von sogenannter konventioneller Therapie - zum Beispiel Laufbänder und Fahrradergometer - über spezielle Elektrostimulationsverfahren von Nerven, Rückenmark, Gehirn und Muskeln, bis hin zu roboter- bzw. exoskelettgestützten Verfahren. Der Einsatz richtet sich dabei nach dem Muster und dem Ausmaß der Defizite des Patienten oder der Patientin. Ziel ist es immer, Mobilität, Stabilität und Koordination gezielt und individuell zu verbessern, Schritt für Schritt.
Gehen lernen nach einem Schlaganfall – erste Schritte zur Mobilität
Wie schnell kann man nach einem Schlaganfall wieder gehen lernen und wie hilft dabei Robotik?
Das ist sehr individuell: Manche Menschen machen bereits nach wenigen Tagen erste Fortschritte, andere brauchen Wochen oder manchmal auch Monate. In der Frühphase geht es vor allem bei schwer betroffenen Patient*innen oft um erste Positionswechsel, Körperwahrnehmung, Mobilisation an die Bettkante, erste Stehversuche und dann die gezielte Anbahnung von Bewegungsmustern. Was das Stehen und Gehen betrifft, helfen Robotiksysteme insbesondere bei schweren Lähmungen oder Gleichgewichtsstörungen, erste Schritte in aufrechter Körperposition zu trainieren.
Robotik in der Schlaganfalltherapie: Neue Chancen für das Gehen lernen
Wie helfen robotikgestützte Therapien beim Gehen lernen nach einem Schlaganfall?
Der wesentliche Vorteil der Gangroboter besteht darin, dass Patient*innen mit geringem Aufwand deutlich höhere Schrittzahlen in der Therapie erreichen können. Entscheidend in der Therapie ist die Zahl der Wiederholungen. Die trainierten Bewegungen spiegeln sich ins Nervensystem und beeinflussen die Erholung günstig. Im Vivantes Klinikum Spandau nutzen wir verschiedene Systeme vom stationären zum mobilen Exoskelett bis hin zu speziellen Robotik-Systemen, die auch die frühe, sicher und intensive Beübung komplexer Bewegungen erlauben. Das geht natürlich nur mit einem entsprechend ausgebildeten Team von Physiotherapeut*innen, die mit Ihrer Expertise unsere Patient*innen absichern und motivieren.
Wie weit ist die Forschung in der Gangrobotik?
Unsere Therapien in der Robotik-Ambulanz sind für viele Patient*innen eine vielversprechende Option, wenngleich die wissenschaftliche Datenlage die Erfahrungen in den Behandlungszentren noch nicht 1:1 abbildet. Kleinere Fragestellungen können wir dabei direkt vor Ort bearbeiten – größere Projekte lassen sich nur in Zusammenarbeit mit anderen Forschungszentren klären. Aus diesem Grund beteiligen wir uns regelmäßig an internationalen Forschungsprojekten zur robotikgestützten Frührehabilitation mit einem unterschiedlichen Exoskelett-Systemen. Neben harten Messwerten prüfen wir auch die Erfahrungen und Zufriedenheit von Patient*innen und Therapeut*innen.
Für uns ist es eine wichtige Möglichkeit, die Wirksamkeit neuer Technologien wissenschaftlich zu prüfen – und gleichzeitig Betroffenen frühzeitig Zugang zu modernster Therapie zu ermöglichen.
Robotik ist mehr als Technikspielerei nach Schlagfällen
Welche Irrtümer über die Reha hören Sie besonders häufig?
Ein großer Irrtum ist: Was in den ersten Wochen nicht passiert, passiert gar nicht mehr. Das stimmt definitiv nicht. Auch nach Wochen oder Monaten sind Fortschritte möglich, selbst im chronischen Stadium, also über sechs Monate nach einem Schlaganfall hinaus, eben nur langsamer als in der frühen Phase. Entscheidend ist: Dranbleiben, realistische und patient*innenzentrierte Ziele in einem multiprofessionellen Team unter Einbindung der Angehörigen setzen, strukturiert trainieren und den Trainingserfolg immer wieder re-evaluieren.
Auch die Annahme, dass Robotik nur „Technikspielerei“ sei, ist falsch: Zum richtigen Zeitpunkt richtig eingesetzt, ist sie ein wirksames Werkzeug, um selbst bei schweren Lähmungen gezielt die Wiederherstellung von Funktionen zu unterstützen. Wir bieten in unserer Robotik-Ambulanz auch eine Weiterbehandlung nach einem stationären Aufenthalt an. Allerdings wird diese Therapie derzeit noch nicht von den Krankenkassen übernommen und muss privat bezahlt werden.
Wie geht es nach der Frührehabilitation für Menschen nach einem Schlaganfall weiter?
Nach der Neurologischen Frührehabilitation der Phase B verlegen wir Patient*innen, die einen bestimmten Stand der Verbesserung erreicht haben, in nachfolgende Rehabilitationseinrichtungen der Phasen C oder D. In der Phase D können sehr mobile Patienten zum Teil auch ambulant behandelt werden. Hier werden die erlernten Fähigkeiten weiter ausgebaut, Alltagssituationen gezielt trainiert und auf eine Rückkehr ins häusliche oder betreute Umfeld vorbereitet. Schwerer betroffene Patienten können auch mit pflegerischer Unterstützung direkt nach Hause entlassen werden, oder – wenn das nicht möglich ist – auch in eine unterstützende Einrichtung verlegt werden.
Mit der Schlaganfall-Akutversorgung auf der Stroke-Unit, der neurologischen Frührehabilitation im Hause und auch nachfolgenden stationären und ambulanten Therapieangeboten bei Vivantes bieten wir inzwischen den Menschen in Berlin sozusagen alles aus einer Hand an – von der Aufnahme in der Rettungsstelle, über die stationäre Akutversorgung, über die Frührehabilitation bis hin zu Behandlungen der Nachsorge.
Anschluss-Therapie nach der Rehabilitation
Nach Abschluss einer Reha kann es sinnvoll sein, die Therapie fortzusetzen. In unserer Ambulanz können Sie weiterhin ärztliche und therapeutische Unterstützung bekommen.
Wer einen Schlaganfall hatte und das Gehen roboter-unterstützt üben möchte, kann dies in der Robotik-Ambulanz in Spandau machen. Diese recht neue Therapie wird in der Regel nicht von Krankenkassen übernommen und muss selbst gezahlt werden.
So vereinbaren Sie einen Termin
Schreiben Sie uns eine E-Mail an neuroreha.ksp@vivantes.de oder rufen Sie uns an unter 030 130 131600.

So wichtig sind Angehörige für die Reha nach Schlaganfall
Was können Angehörige zur erfolgreichen Frührehabilitation beitragen? Was möchten Sie Betroffenen und Angehörigen mit auf den Weg geben?
Angehörige sind oft der wichtigste Halt – emotional, ganz pragmatisch gesehen und vor allem motivierend. Wir wissen heute, dass sich ein engagiertes soziales Umfeld positiv auf die Prognose von Schlaganfallpatienten auswirkt. Wir beziehen Angehörige aktiv in alle wichtigen Prozesse im Rehabilitationsverlauf mit ein – durch Schulungen, Gespräche, Beratung und begleitete Pflegeeinheiten. Das Ziel ist: Verständnis schaffen, Ängste nehmen, gemeinsame Perspektiven entwickeln. Gleichzeitig achten wir auch darauf, Angehörige durch ein psychologisches Angebot zu entlasten – denn das Leid ihrer Lieben stellt ohne Frage auch für die Angehörigen eine große seelische Belastung dar.
Mitgeben möchte ich allen: Haben Sie Geduld und Vertrauen in den Prozess. Rehabilitation ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Jeder Mensch bringt andere Voraussetzungen mit. Aber mit der richtigen Unterstützung, Ausdauer und professioneller Begleitung sind erstaunliche Fortschritte möglich – auch dann, wenn die Hoffnung vielleicht schon aufgegeben wurde.




