Videospiele – harmloses Hobby oder gefährliche Sucht?
Kritiker sagen, die Anerkennung der Videospielsucht als Krankheit sei vorschnell erfolgt. Sehen Sie das auch so?
Nein, sie richtet aus meiner Sicht keinen Schaden an. Die Diagnose als Krankheit betrifft nur Einzelne, deren Videospielkonsum zu ernsthaften seelischen Problemen führt. Einen Großteil der Spielenden schränken Videospiele in ihrem Leben nicht ein. Psychotherapeuten haben erst durch die Diagnose die Möglichkeit, den wenigen Betroffenen auf Grundlage der ICD-11 eine Psychotherapie anzubieten.
Führt die Aufnahme in den Katalog nicht zur Stigmatisierung von Spielenden?
Alkoholabhängige galten früher als charakterschwach oder als Junkie, heute gelten sie als behandlungsbedürftig. Es ist die Erkrankung, die von Außenstehenden stigmatisiert wird, nicht die Diagnose. Durch eine differenzierte Berichterstattung könnte man etwas gegen diese Stigmatisierung tun. Denn Gaming ist auch für uns Experten ein wertvolles Kulturgut, das viele Menschen leidenschaftlich nutzen ohne süchtig zu sein.
Drogenabhängigkeit gilt immer als gefährlich, bei Computerspielen hängt es von der Menge des Konsums ab – führt diese Grauzone nicht zu Widerständen bei Krankenkassen die Kosten für eine Therapie zu übernehmen?
Wer zehn Jahre am Stück jeden Tag für viele Stunden am Computer sitzt, kann unter psychischen Folgen wie Angststörungen leiden, oder Adipositas bekommen. Wenn psychische Erkrankungen sich chronisch auswirken, verursachen sie hohe Gesundheitskosten. Die Krankenkassen haben also auch ein Interesse daran, eine diagnostizierte Sucht zu behandeln.
Ab wann ist man süchtig? Genügt es, sich schwer von einem Computerspiel loszureißen und länger zu spielen, als geplant?
Nein. Die Spiele sind so gestaltet, dass man möglichst viel Zeit mit ihnen verbringen möchte. Wenn zum Beispiel ein neues Spiel erscheint und man begeistert über einen kurzen Zeitraum hinweg täglich besonders viel spielt, ist nicht von einer Abhängigkeit auszugehen.
Von einer Sucht sprechen wir, wenn das Leben stark beeinträchtigt ist, sich das Spielen nicht mehr kontrollieren lässt und dieser Kontrollverlust mindestens 12 Monate lang andauert. Abhängigen fehlt eine Tagesstruktur und oft der berufliche Austausch. Sie haben meist auch große Schwierigkeiten, ihre Beziehungen zu gestalten.
Abhängig werden kann man ja von vielen Dingen, zum Beispiel von Serien. Warum wurden die nicht als Krankheit eingeordnet?
Serien werden nur passiv konsumiert. Ein Videospiel dagegen kann den Nutzer belohnen, das kann eher abhängig machen. Ein weiterer Aspekt ist die gesellschaftliche Relevanz einer Abhängigkeit – wenn sie nur in einer Nische stattfindet, ist sie nicht im ICD vermerkt. So zum Beispiel die sogenannte „tanning addiction“. Sie betrifft Menschen, die süchtig danach sind, sich zu bräunen. Computerspiele dagegen sind relevanter, weil so viele Menschen in Deutschland mittlerweile Computer spielen.
Was sind die Zutaten in Computerspielen, die süchtig machen?
Generell gilt: Je mehr Bedürfnisse ein Spiel befriedigt, desto eher kann es abhängig machen. So z.B. das Bedürfnis nach Anerkennung. Auch positive Erlebnisse fördern die Abhängigkeit: Belohnungen, die gekauft oder erspielt werden, sogenannte Lootboxen, die mit Glücksspielen vergleichbar sind. Oder Zeitlimits – wenn bestimmte virtuelle Gegenstände nur über einen begrenzten Zeitraum verfügbar sind, wie es zum Beispiel bei Fortnite der Fall ist. Genauso können aber auch Spiele, die theoretisch nie zu Ende sind, süchtig machen. Und ein ganz wichtiger Punkt: Investiertes Geld führt mitunter zu einer Spiralwirkung, durch die immer mehr Geld investiert wird, damit sich die erste Investition gelohnt hat.
Welche Spiele wären beispielhaft zu nennen?
Spiele, die viele Alltagsbedürfnisse ersetzen. So z.B. World of Warcraft oder aktuell Fortnite und League of Legends. Eine alternative Empfehlung wäre dagegen ein Spiel, das aus einer dreistündigen Erzählung besteht und danach zu Ende ist, wie „What Remains of Edith Finch“. Oder ein Puzzlegame, das vorrangig als ästhetische Erfahrung gestaltet ist, wie „Gorogoa“.
Wie kann man der Computerspielesucht vorbeugen?
Entscheidend ist gute Medienpädagogik. Die Eltern haben als Vorbilder eine wichtige Rolle. Sie sind es, die den Kindern einen Mittelweg aufzeigen sollten und sie weder unreguliert mit den Videospielen allein lassen, noch Medien rigoros und komplett verbieten.