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Keine Konversionstherapie: Richtig so

Homosexuelle umpolen? Was sich anhört wie eine Szene aus einem schlechten Film, ist in Deutschland erst seit einem Jahr verboten. Im Interview spricht Oberarzt Dr. Markus Windeck, über das Gesetz und die Situation in Deutschland.

Jegliches Eingreifen, das darauf abzielt, die selbst empfundene geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung von Minderjährigen zu unterdrücken oder zu verändern, ist seit Juni 2020 verboten. Auch Erwachsene, die sich aufgrund falscher Tatsachen auf die Behandlung einlassen, bezieht das „Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen“ mit ein.

Oft psychische Schäden

Wer die Betroffenen täuscht oder gar zwingt und sie nicht über die Gefahren des Verfahrens aufklärt, macht sich strafbar. Denn die sogenannten Konversionsbehandlungen erzeugen oft psychische Schäden: Betroffene entwickeln Angsterkrankungen und Depressionen bis hin zu Suizidgedanken.

Im Interview spricht Dr. Markus Windeck, Oberarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Vivantes Klinikum Neukölln, über das Gesetz und die Situation in Deutschland.

"Selbst über Sexualität entscheiden"

Was raten Sie Betroffenen, die aufgrund ihrer Sexualität unter Druck gesetzt werden oder Probleme haben, zu ihren sexuellen Präferenzen zu stehen?
Dr. Markus Windeck: „Jede*r sollte für sich selbst entscheiden, wie sie oder er Sexualität lebt, solange dabei niemand zu Schaden kommt. Hierzu gehört auch die Entscheidung, inwieweit man die eigene sexuelle Orientierung mitteilt.“

Wie können Angehörige und Freund*innen unterstützen?
Windeck:
„Angehörige sollten sich dabei um eine größtmögliche Offenheit bemühen. Sie sollten die sexuelle Orientierung weder bewerten noch Druck aufbauen, diese mehr, weniger oder anders auszuleben. Falls sie zum Beispiel merken, dass jemand Schwierigkeiten im Umgang mit der eigenen Sexualität oder mit Reaktionen der Gesellschaft auf die sexuelle Orientierung hat, sollten sie bestärken, unterstützen und ggf. auch helfen, entsprechende Ansprechpersonen zu finden. Bei Vivantes sind das vor allem die psychiatrischen Abteilungen: Es gibt ambulante Angebote über die Institutsambulanzen und, sollte es notwendig sein, auch weiterführende (teil-)stationäre oder krisen-interventorische Angebote.“

Schon die Existenz von Konversionstherapie aus, dass man Homo- oder Bisexualität heilen könnte. Es handelt sich aber nicht um eine Krankheit, somit ist eine Heilung weder gewünscht noch möglich – es gibt hier schlichtweg nichts zu heilen.

Oberarzt in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Vivantes Klinikum NeuköllnDr. Markus Windeck

Wie bewerten Sie grundsätzlich die gesellschaftliche Situation für homo- und bisexuelle Menschen in Deutschland?
Windeck:
„Ich bin der Meinung, dass wir in Deutschland schon viel erreicht haben. Für viele Menschen ist es selbstverständlich, dass es unterschiedliche sexuelle Orientierungen gibt und alle Menschen das Recht haben, ihre Sexualität auszuleben. Egal ob es sich um gleich- oder gegengeschlechtliche Partner*innen handelt. Leider bestehen dennoch, auch hier bei uns, noch große Vorbehalte. Traditionelle Rollenbilder werden über Generationen hinweg weitergegeben, teils geschieht das ganz unbewusst.
Darüber kann sich Diskriminierung entwickeln. Selbst in einer weltoffenen Stadt wie Berlin gibt es häufig Diskriminierung bis hin zu Gewalt gegen gleichgeschlechtliche Paare, homo-, bi-, trans- und intergeschlechtliche Menschen. Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass auch Menschen homophobe Ansichten verinnerlicht haben, die selber schwul, lesbisch oder bisexuell sind. Dies kann zu ausgeprägten inneren Konflikten bis hin zu psychischen Folgeerkrankungen führen. Wir als Gesellschaft müssen weiter an einer Entdiskriminierung arbeiten, und hier spielt der Gesetzgeber eine wichtige Rolle. Deswegen ist auch das „Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen“ ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.“

Unterstützung für glückliches, freies und selbstbestimmtes Leben

Kritiker*innen geht das Gesetz nicht weit genug. Es gilt zum Beispiel nicht für Erwachsene, die selbstbestimmt handeln. Wie stehen Sie dazu?
Windeck:
„Das ist eine schwierige Frage. Ein einwilligungsfähiger erwachsener Mensch in Deutschland kann sich frei entscheiden, ob und welche Therapien er annehmen möchte. Dennoch drückt schon die Existenz von Konversionstherapie aus, dass man Homo- oder Bisexualität heilen könnte. Es handelt sich aber nicht um eine Krankheit, somit ist eine Heilung weder gewünscht noch möglich – es gibt hier schlichtweg nichts zu heilen. Da aber sogenannte Konversionstherapien Schaden verursachen können, sollten sie generell verboten werden. Dies hat auch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde in einer Stellungnahme im November 2019 so geäußert. Man sollte Menschen, bei denen sich Schwierigkeiten oder sogar Krankheitssymptome aus der Auseinandersetzung mit ihrer sexuellen Orientierung ergeben, Unterstützung anbieten, damit sie ein glückliches, freies und selbstbestimmtes Leben führen können.“


Fotos: unsplash (großes Bild und Bild im Text), Vivantes - Caroline Ubl (Porträt)

Zur Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik

Psychische Störungen sind weit verbreitet. Manche Studien gehen davon aus, dass jeder zweite Mensch irgendwann im Leben zumindest milde Symptome einer psychischen Auffälligkeit zeigt. Körperliche, psychische, genetische und soziale Faktoren können dazu führen, dass Menschen manifeste Symptome einer psychischen Störung entwickeln.

 
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030 130 14 -2270 / -2271

Dieser Artikel ist aus dem Vivantes Magazin gesund!, Ausgabe 2-2021.