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Warum Hörgeräte Demenz verhindern können

Eine großangelegte Studie aus Großbritannien macht Hoffnung: Tragen Schwerhörige ein Hörgerät, reduzieren sie damit deutlich ihr Risiko an einer Demenz zu erkranken. Woran das liegt und wie durch ein verbessertes Hörvermögen der Alterungsprozess insgesamt deutlich verlangsamt wird, erklärt Priv. Doz. Dr. med. Parwis Mir-Salim, Chefarzt vom Vivantes Hörzentrum Berlin, im Interview.

Herr Dr. Mir-Salim, wie genau wirkt sich Schwerhörigkeit auf die Entstehung und Entwicklung einer Demenz aus?

Ganz allgemein kann eine Demenz-Entwicklung durch einem Hörverlust beschleunigt, oder besser ausgedrückt, durch den Ausgleich eines Hörverlustes verlangsamt werden.

Was wir aber viel häufiger in unseren Sprechstunden erleben: Menschen glauben, dass sie dement werden, weil sie Dinge nicht mehr richtig hören und verstehen und dadurch in der lautsprachlichen Kommunikation eingeschränkt sind. Dabei haben sie ganz einfach nur eine Schwerhörigkeit und diese lässt sich in der Regel gut behandeln.

Wohin können sich Betroffene im ersten Schritt wenden, wenn sie offenbar nicht mehr gut hören?

Das sollte unbedingt ärztlich untersucht werden. Der erste Weg wäre der Gang zum Hausarzt, der dann an den HNO-Facharzt überweist.

Was macht der Facharzt bzw. die Fachärztin?

Bestandteil der Untersuchung ist unter anderem ein Hörtest. Mit dem wird geprüft, welche Töne und Frequenzen gehört werden. Zusätzlich wird bei Schwerhörigkeit ein Sprachtest durchgeführt. Liegt dann tatsächlich eine Schwerhörigkeit mit Einschränkung der Sprachverständlichkeit vor, kann in vielen Fällen ein Hörgerät notwendig werden.

Müssen die Kosten für das Hörgerät selbst getragen werden?

Die Kassen prüfen den Einzelfall und übernehmen in der Regel teilweise die Kosten für ein Hörgerät.

Wird der Hörverlust mit einem Hörgerät verlangsamt oder sogar gestoppt?

Grundsätzlich leider nein, meist schreitet es in langsamen Schritten voran. Wie Sie vielleicht von Zeit zu Zeit eine stärkere Brille benötigen, muss das Hörgerät gelegentlich angepasst oder gar ausgetauscht werden. Sollte dies irgendwann von der Leistung nicht mehr ausreichen, kann ein Cochlea-Implantat eine Alternative werden.

Also eine Operation?

Minimal-invasiv, über einen kleinen Schnitt hinter der Ohrmuschel, wird ein elektrisches Gerät eingesetzt, das die Funktion des Innenohrs (der Cochlea) übernimmt. Das ist ein schonender Eingriff, der Dank sehr gut verträglicher Narkose-Methoden sogar für die meisten Risikopatient*innen infrage kommt und im Ergebnis dafür sorgt, dass die Betroffenen bei erfolgreicher Rehabilitation wieder am sozialen Leben teilnehmen können und nicht aufgrund von starker Schwerhörigkeit in vollkommener Isolierung enden.

Es ist immer wieder beeindruckend zu sehen, wie durch ein verbessertes Hörvermögen die Lebensqualität zunimmt: Die Menschen unternehmen wieder etwas, kommen aus der Vereinsamung heraus, in dem sie am sozialen Leben teilnehmen. Das erleben wir in unserer Sprechstunde immer wieder. Deshalb ist aus vielerlei Gründen ein Hörgerät oder gar ein Cochlea-Implantat bei Schwerhörigkeit sinnvoll.

 

Meistens bemerkt das Umfeld zuerst die zunehmenden Hörprobleme, traut sich aber vielleicht nichts zu sagen: Was raten Sie Freunden und Angehörigen, wie sie das am besten thematisieren?

Man sollte die frontale Ansprache vermeiden im Sinne von "Du hast da ein Defizit. Du hörst nicht mehr richtig." Auf diesem Weg erreicht man in der Regel nichts weiter als eine Blockadehaltung seines Gegenübers. Die bessere Variante wäre beispielsweise danach zu fragen: "Wie ist das eigentlich, wenn Du jemandem lange zuhörst – bemerkst Du da einen Unterschied zu früher? Oder wie ist es mit Gesprächen an der Bushaltestelle: Kannst Du den Gesprächen der Passanten dort folgen?"

Wie können Betroffene selbst frühzeitig merken, dass sie etwas gegen ihre Höreinschränkungen tun sollten? Gibt es so etwas wie einen Selbst-Check?

Die beiden eben genannten Beispiele kann man natürlich auch für sich selbst hinterfragen. Umgangssprachlich, also in einer typischen Small-Talk-Situation, spricht man normalerweise in einem Abstand von einem Meter zum anderen, in einer Lautstärke von etwa 65 Dezibel. Wenn man merkt, dass man seinem Gegenüber immer näherkommt, um etwas zu verstehen, ist das ein deutliches Anzeichen für einen Hörverlust. Genauso, wenn Sie bei Störgeräuschen wie im Straßenverkehr oder im Restaurant einer Unterhaltung nicht mehr folgen können.

Gibt es genetische Veranlagungen und bestimmte Risikogruppen für Schwerhörigkeit?

Die gibt es. Otosklerose ist beispielsweise eine genetisch veranlagte Krankheit, die unbehandelt zu Hörverlust führen kann. Der Komponist Ludwig van Beethoven soll daran erkrankt gewesen sein. Am meisten verbreitet ist aber sicherlich die Altersschwerhörigkeit.

Ab welchem Alter nimmt das Hörvermögen ab?

Das ist ab Mitte 50, Anfang 60 der Fall. Zuerst ist die mittlere Hörfrequenz betroffen. Das entspricht beispielsweise einer Frauenstimme. Im fortgeschrittenen Stadium können auch tiefere und schließlich hohe Frequenz wie Kinderstimmen schlecht verstanden oder gar nicht mehr gehört werden.

Sollte man bereits bei leichten Hörproblemen, also so schnell wie möglich, etwas tun?

Ja, unbedingt. Wenn man es zu spät angeht, gewöhnt man sich nicht mehr an ein Hörgerät. Und ganz wichtig: Die eigene Motivation - ohne sie geht es nicht.

 

Links

Zur Studie über den Zusammenhang von Hörverlust und Demenz

Zum Hörzentrum Berlin

 

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