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Immer der Nase nach: Das unterschätzte Sinnesorgan

Die Nase ist das am meisten unterschätzte Sinnesorgan. Was ist, wenn man eine Riechstörung hat oder den Geruchssinn verliert? Infos und Antworten von einer Oberärztin des Vivantes Klinikum im Friedrichshain.

Wie wichtig der Geruchssinn ist

Der Geruchssinn ist der unmittelbarste der menschlichen Sinne, ohne ihn könnten wir nicht schmecken. Er warnt uns, ist eng mit Gefühlen und Erinnerungen verknüpft und beeinflusst unser soziales Umfeld.

Das Riechepithel im hinteren Teil der Nasennebenhöhle und die Areale, die für die Verarbeitung der Reize im Gehirn verantwortlich sind, unterscheiden mehr als eine Billion Gerüche. Die Zunge dagegen erkennt gerade einmal fünf Geschmacksrichtungen, die Augen bis zu 7,5 Millionen Farbtöne und die Ohren rund 340.000 Tonqualitäten.

Hochkomplexe Abläufe mit 20 Millionen Rezeptoren

Mehr als 20.000-mal atmet ein Mensch täglich ein und aus, jeder Atemzug trägt Millionen von Duftmolekülen in seine Nase. Alles Duftende sendet kleinste Duftpartikel aus, die Moleküle werden mit dem Luftstrom über die Nasehaupthöhle an die Riechspalte im Nasendach getragen. Dort docken sie an die mehr als 20 Millionen Riechrezeptoren an, die in unserer Nasenschleimhaut sitzen. Diese winzig kleinen Sinnesfühler informieren das Gehirn über den Duft. Dafür müssen Duftstoff und Rezeptor genau zusammenpassen, etwa wie ein Schlüssel ins Schloss.

Wird einer der 350 unterschiedlichen Rezeptoren aktiviert, sorgt er dafür, dass elektrischer Strom zum Gehirn fließt – in der Folge können wir dann beispielsweise ein Gewürz, das Meer oder Blumen interpretieren. Biologische Düfte etwa vereinen eine Mischung aus mehreren Hundert Duftmolekülen. Die Nase identifiziert diese Mischung, von der jede eine spezielle Kombination aus den vorhandenen Rezeptoren aktiviert – genau die, für die der Duft dieser Mischung vorhanden war.

 

Interview: Drei Fragen an eine HNO-Ärztin

Drei Fragen an Tatiana Jähn, Oberärztin an der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf und Halschirurgie, Plastische Operationen im Vivantes Klinikum im Friedrichshain.

Frau Jähn, ist der Geruchssinn bei allen Menschen ähnlich ausgeprägt?

Tatiana Jähn: Nein, etwa fünf Prozent der Bevölkerung sind anosmisch – ein Extremfall einer Riechstörung: Sie leiden unter dem Fehlen oder dem Verlust des Riechvermögens. Es gibt auch Menschen, die überempfindlich oder vermindert empfindlich sind. Sie ne¬men Gerüche in Gegenwart einer Reizquelle verändert wahr oder riechen etwas, ohne dass eine Reizquelle vorhanden ist.

Welche speziellen Probleme im Bereich des Geruchssinns haben Ihre Patient*innen in der Regel?

Jähn: Überwiegend leiden sie unter verminderter Empfindlichkeit oder vollständigem Verlust des Riechvermögens, verursacht meist durch eine chronische Rhinosinusitis (gleichzeitige Entzündung der Nasenschleimhaut – Rhinitis – und der Schleimhaut der Nasennebenhöhlen – Sinusitis), mit oder ohne Polypen. Verantwortlich dafür sind entzündliche oder mechanische Ursachen, beispielsweise eine Verlegung des Zugangs zum Riechepithel. Schon die behinderte Nasenatmung bei einem Schiefstand der Nasenscheidewand kann den Transport der Riechstoffe stören. Weiterhin sehen wir HNO-Ärzt*innen konsiliarisch auch Patient*innen nach Schädel-Hirn-Verletzungen. Riechstörungen nach Traumata liegen beispielsweise ein Abriss der Nervenfasern oder eine Hirnkontusion (Hirnprellung) zugrunde. Auch virale Infekte werden von einer Riechstörung, verursacht durch Schädigung des olfaktorischen Epithels, begleitet. Eine Riechstörung kann ebenfalls ein Frühsymptom einer neurodegenerativen Erkrankung (Alzheimer, Parkinson, Chorea Huntington) sein.

Wie können Sie helfen?

Jähn: Im Vordergrund der Behandlung nasaler Erkrankungen, die ursächlich für eine Riechstörung sind, stehen etwa die chirurgische Therapie oder die Anwendung von Kortikosteroiden. Das sind Hormone, die in der Nebennierenrinde gebildet werden. Bei der konservativen Therapie werden topische (z. B. aufzutragende) oder systemische (z. B. Tablette, Infusion) Kortikoide eingesetzt. Je nach Indikation bietet sich operativ die endoskopische Nasennebenhöhlenchirurgie an. Oft muss die konservative Therapie nach dem chirurgischen Eingriff fortgesetzt werden.

 


Der Artikel ist auch erschienen im aktuellen Vivantes Magazin.