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LGBTQIA+ und psychische Gesundheit: „Der Behandlungs- und Beratungsbedarf wächst.“

Viele queere Geflüchtete sind psychisch stark belastet: Vor allem durch die sehr negativen Erfahrungen ihrer Flucht, aber auch weil sie wegen ihrer sexuellen Identität häufig diskriminiert werden. Das Zentrum für transkulturelle Psychiatrie des Vivantes Humboldt Klinikum hat darauf reagiert und seine spezialisierten psychiatrischen und psychotherapeutischen Angebote ausgebaut. Ein Gespräch mit Netzwerkkoordinator André Albuquerque de Bulhoes.

Wir denken ständig darüber nach, wie wir für LGBTQIA+ Patient*innen in Berlin noch weitere spezialisierte Angebote schaffen können.

Sie sind seit 2018 Netzwerkkoordinator im Zentrum für transkulturelle Psychiatrie am Vivantes Humboldt Klinikum. Welche Aufgaben hat das Zentrum?

André Albuquerque de Bulhoes: Unser Zentrum ist ein zentraler psychiatrischer Versorgungspunkt für Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete – vom individuellen 1:1 Beratungsangebot bis hin zu spezialisierten gruppen- und komplementärtherapeutischen Angeboten. Das Besondere ist, dass unser therapeutisches Team insgesamt zwei Drittel aller Sprachen abdeckt, die von unseren Patient*innen gesprochen werden, sie also in ihrer Muttersprache kommunizieren können. Dank eines zusätzlichen digitalen Dolmetsch-Tools können wir jetzt sogar Behandlungen in über 90 Sprachen anbieten. Gerade im psychiatrischen und psychotherapeutischen Kontext ist die Sprache und ihr richtiges Verständnis besonders wichtig für den Behandlungserfolg.

Sie bauen aktuell das Angebot für LGBTQIA+ Patient*innen weiter aus. Warum?

Albuquerque de Bulhoes: Wir haben festgestellt, dass der Behandlungsbedarf in diesem Bereich ständig wächst. Das hat mehrere Gründe: Zum einen kommen queere Geflüchtete häufig aus Ländern, in denen ihre sexuelle Identität verboten, gesellschaftlich geächtet oder sogar mit dem Tode bestraft wird. Das ist eine psychisch extrem belastende Situation, die sich leider auch nach einer Flucht nicht unbedingt sofort auflöst. Denn LGBTQIA+ Personen, die beispielsweise in Not- und Fluchtunterkünften leben, werden weiterhin sehr oft diskriminiert und mit physischer Gewalt bedroht.

Zum anderen erkennen unsere Patient*innen teilweise erst während der Therapie selbst, wie sehr ihre seelische Gesundheit, durch die meist jahrelange negative Stigmatisierung, beeinträchtigt ist. Oft sprechen Menschen mit unseren Therapeut*innen das allererste Mal über ihre Sexualität und merken erst dabei, wie lange sie ihre Gefühle unterdrückt haben. Ein wichtiger, aber oft auch schmerzvoller Schritt.

 

Queeres Behandlungsteam schafft Sichtbarkeit

Auf welche Weise können Sie LGBTQIA+ Patient*innen konkret helfen?

Albuquerque de Bulhoes: Der erste Schritt ist eine Atmosphäre zu schaffen, in der Patient*innen wissen, dass sie sich bei uns öffnen können und auf ein empathisches Team treffen. Zwei Kolleg*innen und ich treten deshalb ganz bewusst als queeres Behandlungsteam in Erscheinung und zeigen: Queer zu sein ist auch Teil unseres eigenen Lebens, unserer Arbeit und es gibt keinen Grund sich dafür zu schämen und zu verstecken. Außerdem haben wir in diesem Jahr eine queere Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen und die Infoflyer dafür für alle sichtbar im gesamten Zentrum verteilt.

Wie ist das Konzept der LGBTQIA+ Gruppe?

Albuquerque de Bulhoes: Grundsätzlich richtet sich unsere professionell angeleitete Selbsthilfegruppe an alle psychisch erkrankten LGBTQIA+ Menschen, wobei wir uns in erster Linie an Menschen mit Migrationshintergrund wenden. Da queere Personen in der psychiatrischen Versorgung oft nicht ausreichend wahrgenommen werden und sie außerdem teils sehr ähnliche Erfahrungen gemacht haben, wollen wir mit unserem Angebot einen Schutzraum bieten, in dem die Teilnehmer*innen ihre Erfahrungen reflektieren und lernen, ihre psychische Erkrankung und ihre Positionierung in einer heteronormativen Welt besser zu verstehen und etwaige Zusammenhänge aufzudecken.

Zweite LGBTQIA+ Gruppe auf Englisch

Gibt es schon weitere Pläne?

Albuquerque de Bulhoes: Auf jeden Fall. Wir haben wegen steigender Nachfrage gerade erst eine zweite LGBTQIA+ Gruppe auf Englisch ins Leben gerufen und denken ständig darüber nach, wie wir für LGBTQIA+ Patient*innen in Berlin noch weitere spezialisierte Angebote schaffen können. Ein Erfolg ist außerdem, dass wir in unserem Zentrum jetzt auch so genannte genderneutrale Toiletten errichten werden – ein wichtiges Angebot für Trans*-  Patient*innen und Mitarbeiter*innen gleichermaßen.

Gruppenangebote im Zentrum für Transkulturelle Psychiatrie

Neben den Gesprächsgruppen für LGBTQIA+ Personen gibt es weitere bedarfsorientierte Gruppentherapien im Zentrum für Transkulturelle Psychiatrie. Diese wurden unter dem besonderen Aspekt konzipiert, migrations- und fluchtspezifische Bedürfnisse zu berücksichtigen, sowie Sozial- und Gesundheitskompetenzen zu fördern.

Als bedarfsorientierte Gruppentherapien sind unter anderem folgende Angebote entwickelt worden: