Enuresis: Was hilft, wenn Kinder nachts einpullern
Frau Dr. Mendes, bis zu welchem Alter ist es normal, dass Kinder noch nicht vollständig trocken sind, also tagsüber oder nachts einpullern?
Da gibt es eine riesige Spanne, wann Kinder trocken werden. Ab dem 5. Lebensjahr spricht man von einer gestörten Sauberkeitsentwicklung.
Gibt es hier Unterschiede bei der Entwicklung zwischen Mädchen und Jungen?
Laut Statistik ist es im Schnitt tatsächlich so, dass Jungen etwas später trocken werden als Mädchen. Diese Zahlen schließen aber nicht aus, dass es natürlich auch Familien gibt, in denen vielleicht der jüngere Bruder vor der älteren Schwester trocken ist.
Wann sollten Eltern das Thema Einpullern bei der Kinderärzt*in ansprechen?
Spätestens, wenn das Kind 5 Jahre alt ist, sollten Eltern gegenüber der Ärzt*in ansprechen, dass das Kind seinen Harndrang noch nicht unter Kontrolle hat. Die Eltern können das aber auch schon vorher beispielsweise während einer der regulären Früherkennungsuntersuchungen thematisieren.
Welche Gründe gibt es für die Entwicklungsstörung?
Das hängt davon ab, welche Form des Einnässens vorliegt. Pullert das Kind nachts ein, spricht man von der so genannten Enuresis. Bei dieser wird das Kind nachts nicht wach, wenn es auf Toilette muss und gleichzeitig funktioniert das automatische Unterdrücken der Blasenentleerung im Schlaf noch nicht. Der Enuresis liegt häufig eine Entwicklungsverzögerung zugrunde und sie ist oft genetisch veranlagt. Das heißt, dass auch die Eltern selbst früher unter Umständen davon betroffen waren.
Kann das nächtliche Einnässen auch ein Hinweis sein, dass Kinder unter psychischen Belastungen leiden?
"Da weint nachts die Blase", das ist ein alter Mythos, der nicht stimmt. Wenn Kinder beispielsweise schon trocken waren und plötzlich wieder nachts einnässen, liegt das oft daran, dass sie gerade ein höheres Schlafbedürfnis haben, dass sie erschöpfter sind, fester schlafen und deshalb nachts vom Harndrang nicht wach werden. Das kann beispielsweise mit dem Schulanfang der Fall sein. Natürlich kann es in diesem Zusammenhang auch zu emotionalen Belastungen kommen, und es macht unbedingt Sinn, auch diese mit zu behandeln. Aber die emotionale Belastung ist meist nicht die Ursache für das erneute Einnässen.
Wie lässt sich das nächtliche Einnässen, die Enuresis, behandeln?
13 Prozent der betroffenen Kinder werden pro Jahr ohne Behandlung trocken. Oft geht das Einnässen aber für das Kind und die Familie mit einem hohen Leidensdruck einher, so dass doch behandelt werden sollte. Mittel der ersten Wahl ist eine apparative Verhaltenstherapie.
Apparative Verhaltenstherapie: Was verbirgt sich dahinter?
Das Kind trainiert, nachts wach zu werden, wenn es auf Toilette muss. Dazu wird ein Weckgerät genutzt. Das hat einen Fühler und einen lauten wirklich unangenehmen Alarm, der losgeht, wenn die ersten Tropfen in der Hose sind. So unterstützt das Gerät das Aufwachen im fast richtigen Moment, damit das Kind aufstehen und auf Toilette gehen kann. Wichtig ist, dass dieses Weckgerät in eine gute professionelle Begleitung eingebettet ist und auch die Eltern, gerade wenn die Kinder noch jünger sind, unterstützen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist das eine sehr erfolgsversprechende Therapiemethode.
Können auch Medikamente helfen?
Es gibt ein Medikament, das die Urinproduktion nachts reduziert und so zu einer kurzfristigen Trockenheit führt. Der Einsatz dieses Medikaments ist aber nicht ganz unproblematisch und sollte deshalb genau abgewogen werden.
Hilft es, wenn Eltern nachts oder spät abends regelmäßig ihr Kind wecken und auf Toilette schicken?
Dadurch bleibt das Bett zwar trocken, aber das Kind lernt nicht, vom Harndrang wach zu werden. Das Gleiche gilt für einschränkendes Trinken am Abend. Das ist für Kinder manchmal richtig doof und gerade nach dem Sport oder im Sommer auch ungesund.
Gibt es andere Tipps und Tricks, die Eltern mit ihren Kindern zunächst allein zuhause ausprobieren können?
Beim nächtlichen Einnässen geht es wirklich darum, das Aufwachen zu trainieren und das sollte mit fachlicher Begleitung mit Hilfe des Weckgeräts passieren. Hierbei sollten die Eltern natürlich eng einbezogen sein. Dann lässt sich das Einnässen grundsätzlich leicht und erfolgreich behandeln.