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Parkinson: Von Tischtennis bis Forschung

Tischtennis und Tangotanz lindern die körperlichen Symptome der Parkinsonerkrankung – das hat man schon herausgefunden. Welche Fortschritte es in der Parkinson-Forschung gibt, um die Erkrankung zu verlangsamen oder zu stoppen, berichtet Chefarzt Prof. Dr. Jörg Müller von der Klinik für Neurologie im Vivantes Klinikum Spandau.

Bewegung hilft bei Parkinson

Herr Prof. Dr. Müller, was tut Patientinnen und Patienten gut, die an Parkinson leiden?

Prof. Dr. Jörg Müller, Chefarzt der Klinik für Neurologie im Vivantes Klinikum Spandau: „Bewegung und Sport wirken sich sehr positiv aus – sowohl auf das Fortschreiten der Behinderung als auch auf das körperliche Wohlbefinden. Unter den Sportarten scheint Tischtennis den besten Effekt auf die Beweglichkeit bei Parkinson-Betroffenen zu haben. Tanzen wirkt sich ebenfalls positiv aus, Tangotanzen hat dabei die nachweislich beste Wirkung.“

Was raten Sie Erkrankten, damit sie möglichst lange selbstständig in ihrem sozialen Umfeld leben können?

Müller: „Selbstbewusst mit der Erkrankung umzugehen. Kein Betroffener oder keine Betroffene ist „schuld“ an der Parkinson- Erkrankung und sollte sich nie für sichtbare Auswirkungen schämen oder entschuldigen – und sich auf keinen Fall aus dem sozialen Umfeld zurückziehen. Leider passiert das immer noch sehr oft. Betroffene haben häufig Angst vor der Reaktion des Umfelds und versuchen möglichst lange, ihre Erkrankung zu verheimlichen, teilweise sogar vor Familienangehörigen.

Chefarzt Prof. Dr. Jörg Müller ist Parkinson-Experte

Keiner ist „schuld“ an der Parkinson- Erkrankung und sollte sich nie für sichtbare Auswirkungen schämen oder entschuldigen – und sich auf keinen Fall aus dem sozialen Umfeld zurückziehen. Leider passiert das immer noch sehr oft.

Chefarzt der Klinik für Neurologie am Vivantes Klinikum Spandau und Ärztlicher DirektorProf. Dr. Jörg Müller

Mehr Lebensqualität durch Offenheit und Aktivität

Aus meiner Erfahrung haben jedoch diejenigen Menschen die beste Lebensqualität, die offen mit ihrer Parkinsonerkrankung umgehen und sich aktiv den damit verbundenen Herausforderungen stellen. Regelmäßige körperliche Bewegung, eine auf das individuelle Krankheitsbild optimal angepasste Medikation und ein stabiles soziales Umfeld sind die wesentlichen Faktoren, um möglichst lange selbstständig mit Parkinson leben zu können.“

Schützt Kaffee vor Parkinson?

Und ist es ein Mythos oder stimmt es, dass Kaffee das Risiko senkt, an Morbus Parkinson zu erkranken?

Müller: „Es gibt Hinweise darauf, dass hoher Koffeinkonsum das Risiko, eine Parkinsonerkrankung zu entwickeln, reduziert. Im Mausmodell konnte gezeigt werden, dass Koffein die dopaminproduzierenden Nervenzellen der Substantia nigra gegen Angriffe durch Nervenzellgifte schützen kann.“

Nervenzellschädigung verlangsamen oder stoppen

Auf welchem aktuellen Stand befindet sich die Forschung – kündigen sich für die nahe Zukunft Therapien an, die auf die Ursachen des Morbus Parkinson abzielen?

Müller: „Aufgrund der Komplexität der Erkrankung und der Krankheitsursachen werden unterschiedliche Forschungsstrategien verfolgt. Alle haben das Ziel Neuroprotektion – also Krankheitsausbreitung und der Nervenzellschädigung zu verlangsamen oder zu stoppen. Konkret wird an Antikörpertherapien gegen fehlgefaltete Proteine geforscht. Die Fehlfaltung eines kleinen, löslichen Proteins im Gehirn, genannt Alpha-Synuclein, spielt eine zentrale Rolle in dem Krankheitsprozess. Im gesunden „normalgefalteten“ Zustand reguliert Alpha-Synuclein unter anderem die Dopamin-Ausschüttung im Gehirn.“

Viele vielversprechende Forschungsansätze

Welche anderen Forschungsansätze gibt es?

Müller: „Andere Forschungsgruppen arbeiten an Impfungen gegen dieses fehlgefaltete Protein. Eine Impfung soll es dem Immunsystem ermöglichen, das schädliche Protein auszuschalten, vergleichbar mit einer Impfung beispielsweise gegen Masern.

Ein vielversprechender Forschungsansatz liegt auch im Bereich der Stammzelltherapie. Dabei werden Zellen zum Beispiel aus der Haut Betroffener entnommen und so umprogrammiert, dass sie Nervenwachstumsfaktoren produzieren, die in betroffenen Hirnarealen die Neubildung von Nervenzellen anregen sollen. Außerdem forschen Expert*innen intensiv an neuartigen Gentherapien.

Ein sehr interessanter neuer Therapieansatz ist, bestimmte in der Diabetesbehandlung eingesetzte Medikamente zu verwenden. Diese sogenannten GLP-1- Agonisten können auch bei Nicht-Diabetiker*innen ohne Risiko der Unterzuckerung eingesetzt werden und verbessern die Energieversorgung der gefährdeten Nervenzellen. Noch ist auch keines der Medikamente bei Morbus Parkinson zugelassen, es ist aber in nächster Zeit damit zu rechnen.“

Sicher und wirksam

Gentherapien, Impfungen, Antikörpertherapien, Stammzelltherapien, andere Medikamente – wie lange dauert es, bis es diese Therapien wirklich gibt?

Müller: „Es wird noch fünf bis zehn Jahre dauern, bis diese sehr vielversprechenden Therapien auch verfügbar sein werden. Ein sehr wichtiger Aspekt ist hierbei die Patient*innensicherheit. Neuartige Therapieverfahren, die so nachhaltig in die Gehirnfunktion eingreifen, müssen einerseits wirksam, vor allem aber sicher für die Patient*innen sein.“


 
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