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Cannabis wird legalisiert – was heißt das für die Suchtmedizin?

Im Februar hat das Bundestagskabinett den Besitz und Anbau von Cannabis in Teilen legalisiert, nun soll das Gesetz in Kraft treten. Was sagen Mediziner*innen dazu? Wir haben bei Dr. Monika Trendelenburg nachgefragt. Sie ist Leitende Oberärztin in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Vivantes Klinikum Neukölln.

Die Cannabis-Legalisierung polarisiert. Wie stehen Sie als Suchtexpertin dazu?

Dr. Monika Trendelenburg: Ich halte die Legalisierung für problematisch. Cannabiskonsum ist verbreitet, in den letzten Jahren hat er laut Ärzteblatt bei den 18- bis 25Jährigen sogar um 80 bis 100 Prozent zugenommen, bei Kindern und Jugendlichen um 50 Prozent. Das Argument einer Entkriminalisierung wirkt diesem Trend sicher nicht entgegen, sondern ist aus meiner Sicht ein falsches Signal an die Jugend. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN) hat ein Einstiegsalter ab 21 Jahren empfohlen, weil das Gehirn bei Jugendlichen noch nicht ausgereift ist und der Konsum die Hirnstrukturen verändert – aber leider wurde die Empfehlung nicht angenommen. Das halte ich für noch entscheidender, als das Risiko einer Abhängigkeit.

Welche Wirkung hat Cannabis auf den menschlichen Organismus?

Die psychoaktive Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) der Cannabispflanze hat zwar eine angstlösende und schmerzlindernde Wirkung, viel wichtiger ist aber, dass sie bei jungen und vulnerablen Personen Psychosen verursachen kann. Das hängt von der individuellen Veranlagung ab. Wir wissen, dass bei Kindern und Jugendlichen die Gehirnareale, die Emotionen steuern schneller ausgereift sind, als jene für das vorausschauende Denken. Insofern sind gerade bei jungen Konsument*innen die Auswirkungen gefährlich: Der Reifungsprozess wird gestört, Konzentrations- und Motivationsstörungen können auftreten. Mitunter sind junge Erwachsene mit 22 Jahren dann emotional noch auf dem Level von Jugendlichen. Bei einer Doppeldiagnose von Cannabis-Abhängigkeit und Psychose kommt es zu komplizierten Verläufen. Wir sehen hier in der Klinik durchaus behandlungsresistente Fälle, wenn gleichzeitig Substanzen und vor allem Amphetamine und/ oder Cannabis konsumiert wird. Der höhere THC-Gehalt ist sicherlich ein Risikofaktor.

 

Das Gehirn von Jugendlichen ist noch nicht ausgereift und der Konsum verändert die Hirnstrukturen – das halte ich für noch entscheidender, als das Risiko einer Abhängigkeit.

Leitende Oberärztin in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Vivantes Klinikum NeuköllnDr. Monika Trendelenburg

Für wie gefährlich halten Sie Cannabis Konsum mit Blick aufs Auto- oder Fahrradfahren?

Wie stark Cannabis die Fahrtüchtigkeit eingeschränkt, ist sehr individuell. Bei Alkohol wurden die Wirkungen im Gegensatz zum Cannabis-Konsum bereits gut untersucht und beschrieben. Alkohol im Blut ist messbar, es ist bekannt, dass die Wahrnehmungsfähigkeit abnimmt. Cannabis bleibt sehr lange im Körper, Schwellenwerte sind schwer festzulegen und hängen beispielsweise von der Dauer des Konsums oder dem Fettgehalt ab. Insofern wäre ich mit Blick auf den Straßenverkehr für eine Nulltoleranz.

Was wird sich durch die neue Gesetzeslage für die Gesundheitsbranche ändern?

Mit dem neuen Gesetz soll auch die Prävention und Aufklärung gestärkt werden, was ich begrüße. Allerdings zweifle ich noch an der Umsetzung und würde mir wünschen, dass die Aufklärung unabhängig von der Teillegalisierung stärker in den Fokus käme. Ziel des Gesetzes ist auch, den Schwarzmarkt zu bekämpfen. Allerdings befürchte ich eher, dass sich ein Parallelmarkt entwickeln wird, in dem z.B. Cannabis mit einem THC Gehalt über den legalen 10 Prozent verkauft wird, oder synthetische Canabinoide angeboten werden.

Was kommt auf die Suchtexpert*innen durch die Cannabis Legalisierung zu?

Letztlich betrachten wir Cannabis im Rahmen der Behandlung wie Alkohol oder Tabak. Als Mitarbeitende der suchtspezifischen Station positionieren wir uns gegenüber unseren Patient*innen: Der Konsum ist hier verboten, auch wenn er außerhalb der Station erlaubt sein mag. (Bei Tabak gibt es Ausnahmen). Bei der Aufnahme in die Klinik wird Cannabis gemeinsam vernichtet – wer dies nicht will, kann nicht zur Behandlung bleiben.

Rechnen Sie mit mehr Patient*innen?

Für den Moment rechne ich nicht mit einer Zunahme von Patient*innen. Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich mittel- und langfristig mehr Patient*innen in der Allgemeinpsychiatrie vorstellen, es zunehmend schwierige Verläufe gibt und Menschen früher erkranken.