Laufen gegen die Sucht
Wie Sport als Therapie funktionieren kann
Dr. Stoll, warum hilft Laufen gegen Suchterkrankungen?
Jeder Mensch hat früh Laufen gelernt. In jedem Menschen steckt die kindliche Erinnerung, dass es Freude bereitet hat, in Bewegung zu sein. Wir haben einst hüpfend, springend oder im Laufschritt die Welt erkundet. Die Lauftherapie knüpft an dieses alte Erfahrungswissen an und stärkt das Zutrauen in den eigenen Körper.
Funktioniert das bei allen Suchterkrankungen?
Ja! Das Zutrauen in den eigenen Körper ist der erste Schritt, wieder zu sich selbst zu finden. Es stärkt die Erfahrung, sich selbst kontrollieren zu können - ohne Einfluss des Suchtmittels. Durch das Laufen ist es möglich, Suchtgedanken und Suchtdruck erfolgreich regulieren zu können. Neurobiologisch werden körpereigene Glückshormone ausgeschüttet und andere Hirnbereiche - das Grübeln - gezielt abgeschaltet. So kommt man immer anders an als wie man losgelaufen ist, nämlich entspannter.
Welche Voraussetzungen müssen noch erfüllt sein?
Den „inneren Schweinehund“ zu überwinden. Diesen gibt es natürlich nicht, sondern er ist Ausdruck davon, dass unser Körper mit sich möglichst „energiesparend“ umgeht, was von der Natur her durchaus Sinn macht. In diesem Wissen kann man sich dennoch dafür entscheiden: Jetzt möchte ich aber meinen Körper trainieren. Nicht nur Muskeln, auch das Gehirn trainiert mit, so dass der Kopf freigemacht wird für neue Kreativität.
Ansonsten braucht man nur einen passenden Laufschuh, ganz ohne eine komplizierte Sportart erlernen zu müssen.
Wie sieht es mit anderen Sportarten aus: Welche sind hilfreich, welche eher kontraproduktiv?
Alle Sportarten, die dazu führen, zwei bis drei Mal in der Woche richtig ins Schwitzen zu kommen. Das stärkt den Herzmuskel, die Stoffwechsellage, die Skelettmuskulatur und nicht zuletzt die Durchblutung der Organe einschließlich des Gehirns. Sport ist also Ausdruck von Anspannung und Entspannung - eine Bipolarität, die wir in vielen unterschiedlichen Facetten des Lebens wiederfinden. Work-Life-Balance wird zurecht mehr und mehr großgeschrieben.
Gibt es auch eine Sportsucht? Wenn ja, wie wird die in diesem Zusammenhang vermieden oder das Risiko minimiert?
Im Kontext mit einer Konsumstörung besteht immer die Möglichkeit einer so genannten Suchtverlagerung, einschließlich einer überschießenden sportlichen Betätigung. Diese ist in der Regel weitaus unkomplizierter, als die Folgeschäden des Konsums weiter in Kauf zu nehmen. Sicherlich gibt es durchaus das Phänomen eines „Runners High“, aber das ist „Bio“ sozusagen und nicht künstlich durch Drogen.
Wie etabliert sind solche therapeutisch begleiteten Laufgruppen in Berlin und grundsätzlich?
Therapeutisch begleitete Laufgruppen etablieren sich mehr und mehr im Rahmen von Rehabilitationsverfahren, sie bestehen aber auch bereits als eine Art von Selbsthilfegruppe. Es braucht nur ein paar Laufschuhe und schon geht es los mit der Selbstwertstabilisierung.
Welche Sporttipps haben Sie für Suchterkrankte, die diese auch allein umsetzen können oder ist eine therapeutische Begleitung in jedem Fall Voraussetzung?
Eine therapeutische Begleitung ist am Anfang sicherlich hilfreich, um unter Anleitung und in der Gruppe in Bewegung zu kommen. Ziel ist es, im angemessenem Tempo an der körperlichen Fitness zu arbeiten, um dann auf dieser Basis in eigenen Situationen durch Laufen seelische und körperliche Entlastungen aktiv herbeizuführen.
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Auch rbb Praxis hat über die Lauftherapie berichtet. Beitrag hier in der Mediathek ansehen.
Fotos: Titel - huckster-V62UrdknDCA-unsplash; Läuferin fitness-gd46b8464d_640 pixabay