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Sucht im Alter

Die Ursachen sind genauso vielfältig wie die Arten von Suchterkrankungen im Alter. Warum ältere Menschen überdurchschnittlich gut von einer Therapie profitieren und wie sich Abhängigkeiten vermeiden lassen, erklärt Dr. Christoph Richter, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik sowie Ärztlicher Direktor am Vivantes Klinikum Kaulsdorf, im Interview.

Herr Dr. Richter, was sind typische Suchterkrankungen und Abhängigkeiten im Alter?

Dr. Christoph Richter, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik sowie Ärztlicher Direktor am Vivantes Klinikum Kaulsdorf: "Abhängigkeitserkrankungen von Sedativa oder Hypnotika, also Beruhigungsmitteln, und Alkohol stellen in dieser Lebensphase ein besonderes Problem dar. Vereinzelt sehen wir aber auch älter gewordene Menschen mit Drogenabhängigkeit, die beispielsweise unter einer Substitutionstherapie andere Substanzen wie Heroin oder Alkohol zu sich nehmen, so genannter Beikonsum."

Von Alkohol bis Schlafmittel

Sind das eher Abhängigkeiten, die bereits in frühen Jahren entstanden sind und sich weiterentwickelt haben oder gibt es spezielle Süchte, die erst im fortgeschrittenen Alter entstehen?

Dr. Christoph Richter: "Wir sehen beides: zum einen bekannte Abhängigkeitserkrankungen wie zum Beispiel ein Alkoholkonsum seit vielen Jahren, manchmal auch schon Jahrzehnten - quasi Überlebende. Zum anderen erst in dieser Lebensphase neu aufgetretene, schädliche beziehungsweise abhängige Konsummuster von beispielsweise Schlaf- und Beruhigungsmitteln oder auch von Opiaten als Schmerzmedikation."

Was erwidern Sie auf das Argument: "Eine Entwöhnung oder Verhaltensänderung lohnt in meinem Alter doch nicht mehr?"

Dr. Christoph Richter: "Ältere Menschen profitieren überdurchschnittlich gut von der Therapie. Die Frühdiagnose ist wichtig. Natürlich sind auch ältere Menschen in der Lage, ihr Verhalten zu verändern. Nicht wenige Patientinnen und Patienten bringen hilfreiche Strategien aus ihrem bisherigen Leben mit, um sich diesem Thema erfolgreich zu stellen. Wir besprechen auch die Funktion des Konsums, zum Beispiel nach Eintritt ins Rentenalter."

Wenn Medikamente einfach weitergenommen werden

Mit Blick auf die so genannten psychoaktiven Medikamente: Was sind Alternativen?

Dr. Christoph Richter: "Hier hilft zunächst die Prüfung der Indikation. Nicht selten wurden Medikamente zum Beispiel nach einer OP über Monate, Jahre einfach weitergenommen. Wenn chronische Schmerzen vorliegen, beraten wir über alternative Medikation und psychotherapeutische Möglichkeiten, beispielsweise. im Anschluss in unserer gerontopsychiatrischen beziehungsweise suchttherapeutischen Tagesklinik mit Hilfe der Acceptance und Commitmenttherapie. Ebenfalls thematisieren wir Verluste und einen möglichen Umgang im Alter. Psychosoziale Behandlungen beinhalten sozialarbeiterische Beratung, Selbsthilfegruppen, Milieu- und Familientherapie."

Wie lassen sich Abhängigkeiten bei diesen Medikamenten vermeiden, wenn ich darauf angewiesen bin?

Dr. Christoph Richter: "Wichtig ist eine genaue Bewertung der Indikation, der Dauer der Einnahme und der Dosis. Und die Überlegung: Gibt es gegebenenfalls andere (nicht-medikamentöse) Strategien?"

 

Warnzeichen: Verlangen und Kontrollverlust

Was sind erste Warnzeichen, dass bereits eine Abhängigkeit eingetreten ist?

Dr. Christoph Richter: "Hier sind folgende Kriterien einer Substanzkonsumstörung zu erwähnen: Die Substanz wird häufig in größeren Mengen oder länger als beabsichtigt konsumiert. Starkes Verlangen die Substanz zu konsumieren tritt auf. Erfolglose Versuche die Dosis zu verringern oder zu kontrollieren. Substanzkonsum tritt trotz sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme auch mit Einschränkungen von Freizeitaktivitäten auf. Es wird eine Dosissteigerung bemerkt oder eine verminderte Wirkung bei gleicher Dosis und schließlich charakteristische Entzugssymptome."

Was sollte ich tun, wenn ich diese Warnzeichen bemerke?

Dr. Christoph Richter: "Betroffene sollten sich professionelle Hilfe suchen, zum Beispiel in Suchtberatungsstellen oder auch in der Klinik. Angehörige und Freunde sollten nicht wegschauen und das Thema empathisch, aber klar ansprechen. Eine Tabuisierung ist schädlich. Hilfsangebote gibt es sehr, sehr vielfältig – und mit guten Erfolgsaussichten."

 

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