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Was psychiatrische Behandlung zu Hause bringt: Patienten sind zufriedener

Die psychiatrische Versorgung wandelt sich: Wenn Patient*innen zu Hause statt in der Klinik behandelt werden, sind sie und ihre Angehörigen zufriedener. Zwar dauert die psychiatrische Behandlung länger, aber die Betroffenen fühlen sich mehr an Entscheidungen beteiligt. Das sind erste Ergebnisse der AKtiV-Studie.

Wenn der Therapeut ins Wohnzimmer kommt

Psychiatrische Therapie im Wohnzimmer oder am Küchentisch – ist das wirklich gut? Was klar ist: Die herkömmliche Behandlung, die in ambulante, tagesklinische und stationäre Versorgung unterteilt ist, stößt oft an ihre Grenzen. Die stationsäquivalente Behandlung („StäB“), also die Behandlung zu Hause statt auf einer Station, verspricht eine patientenorientiertere und flexiblere Herangehensweise. Doch trifft das auch tatsächlich zu? Das hat ein Team um Chefarzt Prof. Dr. Andreas Bechdolf und M.Sc.-Psych. Konstantinos Nikolaidis aus dem Vivantes Klinikum Am Urban und dem Vivantes Klinikum im Friedrichshain untersucht.

Studie bei Ideenwettbewerb ausgezeichnet

Die AKtiV-Studie hat das Ziel zu untersuchen, wie wirksam die stationsäquivalente Behandlung (StäB) in der Psychiatrie ist. AKtiV steht dabei für „Aufsuchende Krisenbehandlung mit teambasierter und integrierter Versorgung“. Die Multicenter-Studie wird in mehreren klinischen Zentren von unterschiedlichen Untersucher*innen durchgeführt. Dafür hat nun das Team beim Ideenwettbewerb „Vivantes ausgezeichnet“youtube vivantes  den ersten Platz in der Kategorie „Forschung und Lehre“ gewonnen.

Herr Prof. Dr. Bechdolf, was steckt hinter StäB oder Home Treatment, also psychiatrischer Behandlung zu Hause?

Prof. Dr. Andreas Bechdolf: Das ist ein spezielles Therapieprogramm, das die stationäre Behandlung verkürzen oder sogar ersetzen kann. Für Menschen in akuten Krisen oder beispielsweise mit Depressionen, Psychosen oder Zwangsstörungen kann es besser sein, wenn sie nicht in die Klinik müssen. Sondernunsere mobilen Home-Treatment-Teamaus Ärzt*innen, Psycholog*innen, Pfleger*innen und Sozialarbeiter*innen betreuen sie im gewohnten Lebensumfeld von mehrmals in der Woche.

Wie war es denn vorher, Herr Nikolaiidis?

Konstantinos Nikolaidis:  In der Vergangenheit war es so, dass alle Menschen mit einem Bedarf an einer akutpsychiatrischen Komplexbehandlung stationär in einer Klinik behandelt werden mussten. Viele Betroffene möchten jedoch nicht im Krankenhaus behandelt werden.

In Deutschland war es nicht üblich, dass spezialisierte Teams aus Kliniken im ins häusliche Umfeld für eine akutpsychiatrische Komplexbehandlung kamen – wobei dies in anderen Ländern bereits etabliert war. Ich bin überzeugt, dass es gut ist, dass wir jetzt sektorübergreifende Grenzen überwinden, aufsuchende Behandlungsformen fördern und die Versorgung so flexibler gestalten können.

Die Studienergebnisse zeigen, dass psychiatrische Patient*innen zufriedener sind, wenn sie nicht in der Klinik, sondern zu Hause behandelt werden...

Das ist richtig: Patient*innen und Angehörige, die an der stationsäquivalenten Behandlung teilgenommen haben, sind deutlich zufriedener – das hat die wissenschaftliche Befragung ergeben. Die Belastung der Angehörigen nahm allerdings in beiden Behandlungsformen ab. Auch unsere Mitarbeitenden, also die Behandlungsteams, waren im stationsäquivalenten Setting insgesamt sehr zufrieden.

Was bedeutet das für die Zukunft der psychiatrischen Behandlung?

Zufriedenheitsbefragungen haben sicherlich ihre Grenzen, doch die bisherigen Ergebnisse weisen darauf hin: Wir sind mit der aufsuchenden Behandlung im häuslichen Umfeld auf dem richtigen Weg.

Welche wichtigen Erkenntnisse gibt es noch?

Patient*innen, die im häuslichen Umfeld therapiert wurden, fühlten sich mehr an Entscheidungen beteiligt. Auch das hat vermutlich zur Zufriedenheit beigetragen.

Neben der größeren Zufriedenheit ist auch herausgekommen, dass die stationsäquivalente Behandlung im Schnitt länger dauert – ist das gut oder eher nicht gut?

Die durchschnittliche Dauer betrug 37 Tage für die Behandlung im häuslichen Umfeld und 28 Tage für die stationäre Behandlung. Die längere Behandlungsdauer in der Zu-Hause-Gruppe könnte darauf hindeuten, dass diese Methode mehr Raum für eine umfassendere Betreuung und Intervention bietet. Das kann ja insbesondere bei komplexen psychischen Erkrankungen von Vorteil sein.

"Das Leben psychiatrischer Patienten verbessern"

Was hat Sie bei den Untersuchungsergebnissen am meisten überrascht? 

Die Vielfalt oder Unterschiedlichkeit in Bezug auf die Umsetzung der stationsäquivalenten Behandlung und die Zufriedenheit der Patientinnen und ihrer Angehörigen in den zehn Kliniken hat mich am meisten überrascht.

Warum halten Sie die AKtiV-Studie für wichtig?

Insgesamt zeigen uns die ersten Ergebnisse, dass stationsäquivalente Behandlungsmethoden vielversprechende Ergebnisse liefern und das Potenzial haben, die psychiatrische Versorgung grundlegend zu verändern. Ich denke und hoffe, wir können vor allem das Leben vieler psychiatrischer Patient*innen verbessern. Denn um sie geht es uns schließlich.

 

Links

Wissenschaftliche Projekte der Klinik

Erste Ergebnisse der AKtiV-Studie

Fachartikel zur AKtiV-Studie

Ideenwettbewerb „Vivantes ausgezeichnet“

Hier sind alle nominierten Projekte aus "Forschung und Lehre" auf Youtube zu sehen