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Funktioniere Niere! Neue Erkenntnisse aus der Nephrologie

Die Nierenkrankheit verläuft chronisch und mündet noch oft in der Dialysepflichtigkeit, aber es gibt begründete Hoffnung auf neue und bessere Behandlungsmöglichkeiten. Prof. Dr. Martin Kuhlmann, Chefarzt der Klinik für Nephrologie im Vivantes Klinikum im Friedrichshain, spricht daher von einer „Dekade der Nephrologie“.

Welche Ursachen hat die chronische Niereninsuffizienz?

Es gibt unterschiedliche Ursachen wie Diabetes, Bluthochdruck, Entzündungen, aber auch angeborene Erkrankungen, wie Zystennieren.

Die Erkrankung ist nicht heilbar - wie wird sie behandelt?

Über die letzten Jahrzehnte fokussierten wir darauf, den Blutdruck durch Medikamente, wie ACE-Hemmer zu senken, darüber hinaus wurde eine gesunde, pflanzenbasierte und nicht zu eiweißreiche Ernährung empfohlen, um die fortschreitende Abnahme der Nierenfunktion zu verlangsamen. Leider reichten diese beiden Maßnahmen bei vielen Patient*innen nicht aus, sodass irgendwann kein Weg mehr an einer Dialyse oder einer Nierentransplantation vorbeiführte. 

Hat sich das geändert? Warum sprechen Sie von einer „Dekade der Nephrologie“?

In jüngster Zeit hat sich die Nierenheilkunde sehr positiv entwickelt. Neue Medikamente und aktuelle Forschungsergebnisse könnten zu wahren „game changern“ für Betroffene werden. Die neuen Medikamente setzen in der Niere an Stellen an, die bisher nicht beeinflusst werden konnten. So kann die Nierenfunktion länger aufrechterhalten werden, also die sogenannte Progressionshemmung verbessert und so eine größere Lebensqualität und ein längeres Leben der Patient*innen auch ohne Dialyse erreicht werden.

Neue Medikamente und aktuelle Forschungsergebnisse könnten zu wahren „game changern“ für Betroffene werden. Die neuen Medikamente setzen in der Niere an Stellen an, die bisher nicht beeinflusst werden konnten.

Chefarzt der Klinik für Nephrologie im Vivantes Klinikum im FriedrichshainProf. Dr. Martin Kuhlmann

Welche neuen Medikamente sind das? 

Ein Medikament, der SGLT2-Hemmer (Sodium-Glucose Cotransporter-2-Inhibitoren) wurde ursprünglich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt. In großen Studien stellte sich dann schnell heraus, dass der Wirkstoff, der die Zucker- und Natriumausscheidung aus der Niere fördert und den Blutzuckerspiegel senkt, auch sehr positive Effekte auf die Nierenfunktion hatte. Der positive Effekt lässt sich auf eine deutliche Senkung des Drucks in den Nierengefäßen und Nierenkörperchen, in denen das Blut gefiltert und der Urin produziert wird, zurückführen. Dadurch werden die Nieren geschont und das Fortschreiten der Verödung der Nierenkörperchen verlangsamt. 

Gibt es weitere neue Behandlungsmethoden?

Ja, eine andere Substanz, die in Studien effektiv war, „Finerenon“, wirkt nicht direkt am Nierenfilter, sondern im Gewebe, das die Nierenkörperchen umgibt. Dort werden krankhafte Vernarbungsprozesse aufgehalten. Darüber hinaus haben auch GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1)- Rezeptor-Agonisten, die primär bei der Behandlung von Adipositas auch unter dem Namen „Abnehmspritze“ zur Behandlung eingesetzt werden, positive Effekte. Für diese Medikamentenklasse warten wir optimistisch auf weitere Studienergebnisse. 

Wovon hängt es ab, welches Medikament für die Nierenkrankheit eingesetzt wird?

Viele Faktoren spielen eine Rolle: Die Art und Aktivität der Grunderkrankung, der Blutdruck, die Medikamente die bereits eingenommen werden und andere kardiovaskuläre Risikofaktoren. Im Rahmen der individualisierten Medizin wird gemeinsam mit den behandelnden Ärzt*innen die am besten geeignete Therapie ausgewählt und individuell angepasst. Ziel ist es, das Fortschreiten des Verlustes an Nierenfunktion so deutlich zu verlangsamen, dass Hämodialyse, Bauchfelldialyse und Nierentransplantation nicht mehr notwendig werden. Und da gibt es einiges Potential, da eine Nierenersatztherapie erst notwendig wird, wenn die Nierenfunktion von ursprünglich 100 auf unter 7 Prozent abgefallen ist. 

Früherkennung ist auch in der Nephrologie wichtig. Wie erfolgt diese?

Ja, durch Früherkennung können Nierenerkrankungen bereits festgestellt werden, wenn die Nierenfunktion noch nahezu normal oder um nur weniger als 30 Prozent eingeschränkt ist. Dann kann das Fortschreiten der Erkrankung frühzeitig gebremst werden. Beim Hausarztbesuch kann eine Blut- und Urinuntersuchung klären, ob eine Nierenerkrankung vorliegt. Eine vermehrte Ausscheidung des Proteins „Albumin“ im Urin ist ein starker Hinweis auf einer Nierenschädigung, selbst wenn die Nierenfunktion noch normal ist. Die Nierenfunktion lässt sich sehr einfach anhand des Kreatinin-Wertes im Blut abschätzen. Bisher kommt es immerhin bei mehr als der Hälfte der Hausarzt-Patient*innen zur gelegentlichen Bestimmung der Nierenfunktion, jedoch wird nur bei 5 Prozent auch der Urin auf Albumin untersucht. Patient*innen sollten daher aktiv bei ihrer Ärztin oder ihrem Arzt um die gelegentliche Durchführung beider Untersuchungen bitten. Bei Auffälligkeiten kann dann eine Überweisung zu Nierenspezialist*innen erfolgen.