Niemand operiert sich glücklich - Komplikationssprechstunde in Spandau
Herr Prof. Harth, die Mehrheit der Patienten und Patientinnen, die zu Ihnen kommen, wollen gar keine ästhetischen Operationen durchführen, obwohl diese ebenfalls angeboten werden. Warum ist das so?
Die meisten, die sich spontan einer Schönheitsoperation unterziehen wollen, gehen wahrscheinlich in eine spezialisierte Privatpraxis der Wunschmedizin. In unseren Behandlungsräumen trifft man überwiegend auf Patient*innen, die Fehlbildungen operieren, Verletzungsfolgen entfernen oder Altersspuren beseitigen lassen wollen. Zum Beispiel kommen Patienten und Patientinnen mit Schuppenflechte – aber auch Menschen mit Wundheilungsstörungen von Narben, wegen Modifikationen durch ein Piercing oder aufgrund von akuten Entzündungen nach einer Einspritzung.
Wen würden Sie bei dem Wunsch unterstützen, sich die Haut straffen zu lassen und wem davon abraten? Wie gehen Sie vor?
Machen kann man alles. Zum Beispiel sieht ein Mensch, dem die ausgeprägte Zornesfalte mit minimalen Mitteln weggespritzt wird viel freundlicher aus. Oder Frauen, denen nach den Wechseljahren die Mundwinkel stark herunterhängen. Lachfalten dagegen zeugen von positiven Erfahrungen und einem erfüllten Leben und müssen nicht „glattgespritzt“ werden. Die Konsumhaltung der Gesellschaft bezieht sich zunehmend auch auf den Körper. Die Eingriffe sind bezahlbarer geworden und werden flächendeckend angeboten.
Ärzte müssen also entscheiden, ob jemand den eigenen Körper wie ein Produkt optimieren will, oder ob es einen psychischen Leidensdruck gibt?
Neben der klassischen, schulmedizinischen Rekonstruktion bei körperlichen Mängeln unterscheide ich zwei Faktoren: Auf der einen Seite spielen soziale Entwicklungen eine Rolle: wechselnde gesellschaftliche Trends des Körperbildes, vergleichbar den Sommer- und Winterkollektionen in der Mode, die man kennen muss. Auf der anderen Seite ist zu prüfen, ob die Patient*innen Depressionen haben, oder der Wunsch nach einer OP aus einem schwachen Selbst resultiert. Es kann passieren, dass eine seelische Belastung auf einen körperlichen Defekt projiziert wird und im körperlichen Makel eine Entschuldigung für die psychische Störung gefunden wird.
Müssen Schönheitschirurgen auch Psychologen sein?
Ja, wir haben multiprofessionelle Teams, zu denen auch fünf Psychotherapeuten gehören. Wie wichtig sie sind, wurde schon innerhalb unseres Schwerpunktes Männermedizin deutlich, wenn organisch alles in Ordnung ist und ein Mann trotzdem Erektionsprobleme hat. Nur kommen die Patienten und Patientinnen, die sich eine kosmetische OP wünschen oft erst, wenn es zu spät ist in die Komplikationssprechstunde, weil sie erst in eine Praxis gehen, in der ihnen alles versprochen wurde.
Worin bestehen die psychischen Probleme, die Ihnen bei der Arbeit mit den Patienten*innen begegnen?
Verbreitet ist die sogenannte „Hässlichkeitsfurcht“ in der Fachsprache die „körperdysmorphe Störung“. Davon spricht man, wenn sich jemand subjektiv als hässlich empfindet, obwohl das der Arzt oder ein objektiveres Gegenüber nicht nachempfinden kann. Zum Beispiel klagen Patient*innen über Haarausfall und wünschen sich eine Haartransplantation; der Arzt aber stellt fest, dass der oder die Patient*in volles Haar hat. Solche Situationen sind in der Sprechstunde schwer zu meistern. Hintergrund dieser Problematik sind meist Selbstwertprobleme aufgrund einer depressiven Erkrankung.
Wenn nach der OP das seelische Grundproblem bleibt, sind Komplikationen dann nicht vorprogrammiert?
Man muss seelische und körperliche Komplikationen unterscheiden. Wenn ein Patient oder eine Patientin unter einer missglückten Operation leidet, kann medizinisch geholfen werden. Dass Patient*innen mitunter aber aus ganz anderen Beweggründen zu uns kommen, wird oft erst in der psychodermatologischen oder Beautysprechstunde deutlich: Es zeigt sich, wenn es zwischen Ärzten und Patient*innen keine Einigkeit über Therapiefragen gibt. Wie viel muss gespritzt werden? Welche Risiken sind kalkulierbar? Wie sehr leiden die Patient*innen tatsächlich unter dem Äußeren? Wenn Patient*innen zum Beispiel sagen, die Operation sei „seine letzte Hoffnung“ und über die unzähligen schlechten Erfahrungen der Vergangenheit geschimpft wird, werde ich hellhörig. Es könnte sich um eine Extremform, das sogenannte „Koryphäenkiller-Syndrom“ handeln. In diesem Fall ist schon vorauszusehen, dass die Patient*innen mit dem Behandlungsergebnis unzufrieden sein werden und ich würde dringend von einem Eingriff abraten.