Adipositas-Lotsin: So macht sie Menschen mit krankhaftem Übergewicht Mut
Im Dschungel der Bürokratie und Therapieoptionen
Frau Haase, Sie sind die erste Adipositas-Lotsin bei Vivantes und wohl auch in ganz Deutschland. Was machen Sie?
Gabriele Haase: „Ich berate Patient*innen, die Adipositas haben und mache ihnen Mut. Ich kann sie beraten, sich im Dschungel der Bürokratie und Therapieoptionen zurechtzufinden. Denn es gibt ja viele Angebote und Abnehmmethoden. Außerdem ist es wichtig zu wissen, wie und wann man welche Kostenübernahmen beantragen kann. Als Lotsin helfe ich, einen Weg aus der Adipositaserkrankung zu finden.“
Folgeerkrankungen von Übergewicht
Kann man bei Ihnen Termine machen oder gehen Sie auf die Patient*innen zu?
Haase: „Es ist ja so: Die Menschen sind ja eigentlich gar nicht im Vivantes Klinikum im Friedrichshain, um ihr Übergewicht behandeln zu lassen. Sie haben oft schon Folgeerkrankungen, wie etwa Herz- oder Gelenkerkrankungen. Zuerst bin ich immer nur auf die übergewichtigen Patient*innen auf den Stationen zugegangen. Ich habe auf den Stationen nachgefragt, ob jemand für die Beratung in Frage kommt, habe dann an ihre Zimmertür geklopft und sie am Bett angesprochen. Mittlerweile kennen einige schon das Angebot der Lotsin und fragen bei mir nach einem Termin. Ich mache das jetzt ja seit Mai 2023.“
Sie sind eher dünn - wenn Sie Patient*innen im Krankenhaus darauf ansprechen, dass sie adipös sind, wie ist die Reaktion?
Haase: „Viele sind dankbar für das Angebot. Andere reagieren aber auch erst mal abweisend oder lehnen dankend ab. Ich denke, vielen wollten es nicht wahrhaben, dass ihr Übergewicht die Ursache dafür ist, dass sie im Krankenhaus sind. Oder sie haben es einfach noch nicht ausgesprochen oder schämen sich. Ich zeige dann manchmal mein Foto, auf dem ich rund 100 Kilogramm mehr wog und einen BMI von 54 hatte.“
Ich war selbst betroffen - heute habe ich 1000 Prozent mehr Lebensqualität. Sogar meine Erkrankungen, die durch das Übergewicht kamen, sind jetzt weg, wie etwa Diabetes, eine Herzmuskelentzündung und Bluthochdruck.
Erzählen Sie dann auch Ihre eigene Geschichte?
Haase: „Mein Foto und meine eigene Geschichte sind oft Türöffner, die Menschen sind dann gleich viel offener. Dafür bin ich vor 13 Jahren aus Eisenhüttenstadt nach Berlin umgezogen. Seit Herr Prof. Dr. Ordemann mich 2014 operiert hat, habe ich 1000 Prozent mehr Lebensqualität und dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Sogar meine Erkrankungen, die durch das Übergewicht kamen, sind jetzt weg, wie etwa Diabetes, eine Herzmuskelentzündung und Bluthochdruck. Nur künstliche Kniegelenke habe ich noch, denn ich hatte sogar sie eingesetzt bekommen, weil die Gelenke durch das Gewicht kaputtgegangen waren.“
Denken Sie, Sie machen Menschen mit Adipositas Mut?
Haase: „Ja, ich glaube schon. Meine Geschichte zeigt ihnen ja: Man kann es schaffen. Ich bin quasi der lebende Beweis dafür. Es hilft auch, wenn man weiß, dass ab einem gewissen Übergewicht selbst nicht mehr davon runterkommen kann und Hilfe braucht. Es ist eben eine chronische Erkrankung des Stoffwechsels, die bei vielen schleichend ist. Das hat auch nichts mit schwachem Charakter oder so zu tun.“
Was raten Sie adipösen Menschen?
Haase: „Es gibt umfassende Therapiekonzepte, um langfristig Gewicht zu reduzieren, die auf jeden angepasst werden sollten. Ich kann dann etwa raten, sich mit dem Zentrum für Adipositas und metabolische Chirurgie in Kontakt zu setzen und kann natürlich auch dabei helfen. Da gibt es zum Beispiel auch Sportangebote, Termine für Infoveranstaltungen und eine Online-Sprechstunde. Das ist natürlich für Menschen, die schon so übergewichtig sind, dass sie in der Bewegung eingeschränkt sind, auch gut zu wissen.“
Selbsthilfegruppen unter dem Motto „Gesund statt rund“
Auch der Austausch mit anderen ist wichtig, sagen Sie?
Haase: „Es ist toll, wenn man sich austauschen kann mit Menschen, die einen verstehen, weil sie in ähnlichen Situationen sind oder waren. Wir haben Selbsthilfegruppen unter dem Motto „Gesund statt rund“ in Berlin und zwar in Tempelhof-Schöneberg, im Friedrichshain und auch eine Gruppe online. Ich leite die Gruppe hier im Friedrichshain. Wir geben uns gegenseitig Tipps und motivieren uns. Denn auch nach einer OP ist die Adipositaserkrankung nicht einfach weg. Man muss sein Leben umstellen, seine Ernährung und seine Gewohnheiten. Deshalb wird ja auch eine lebenslange Nachsorge empfohlen.“