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Sprechen über „letzte Dinge“ - der Ambulante Hospizdienst von Vivantes

Die Zeit, die bleibt, wenn es keine medizinischen Therapiemöglichkeiten mehr für Patient*innen gibt, ist eine besondere Zeit. Natalie Gärtner ist Koordinatorin des Ambulanten Hospizdienstes bei Vivantes. Sie berichtet von der Arbeit der rund 20 Ehrenamtlichen, die in Berlin für Vivantes unterwegs sind, um Sterbende zu begleiten.

Wo besucht der Ambulante Hospizdienst Patient*innen?

Wir kommen zu ihnen nach Hause, aber auch ins Pflegeheim, oder ins Krankenhaus, je nachdem, wo sie gerade sind. Damit sind wir Teil eines palliativen* Netzwerkes, zu dem auch spezialisierte Ärzt*innen gehören (wie der SAPV-Arzt; das bedeutet „spezialisierte ambulante Palliativversorgung“) und Praxen. Im Unterschied zu den ärztlichen und pflegerischen Kolleg*innen sind wir nicht für die medizinische Versorgung da. Wir bieten psychosoziale Begleitung als Ergänzung zum bereits bestehenden Netzwerk.

Wer nimmt den Ambulanten Hospizdienst in Anspruch?

Das sind Patient*innen mit progredientem Erkrankungsverlauf, bei denen also eine schwere Erkrankung weit fortgeschritten ist und für die es keine Therapie mehr gibt, um ihren Gesundheitszustand zu verbessern (palliative Versorgung). Aber die Symptome ihrer Erkrankung können gelindert werden, durch entsprechende Medikation und anderweitige Unterstützung wie z.B. eine Sauerstoffgabe. Wir begleiten nicht nur Patient*innen mit Krebs, sondern auch Menschen die eine lebenslimitierende Diagnose wie z.B. COPD im Endstadium oder eine chronische Niereninsuffizienz haben. Manche Patient*innen haben auch mehrere Erkrankungen gleichzeitig, oder sie möchten z.B. die lebensnotwendige Dialyse nicht mehr.

Wie sieht die Arbeit der Ehrenamtlichen im Hospizdienst aus?

In einem ersten Schritt lernen sie die Betroffenen kennen, damit diese die Last oder Situation nicht nur allein auf ihren Schultern tragen müssen. Damit entlasten sie oft auch die Angehörigen. Vor allem aber begleiten sie die Sterbenden bis zu ihrem Lebensende, sofern sie dies wünschen. Wir schenken Zeit für Begegnung, Spaziergänge, Gespräche, oder lesen etwas vor. Darüber hinaus helfen wir bei Angelegenheiten des Alltags z.B. kleinen Besorgungen, Botengängen und unterstützen in der schwierigen Zeit des Abschiednehmens sowie bei der Organisation der „letzten Dinge“. In der Regel kommen wir ein bis zwei Mal in der Woche für einige Stunden zu Besuch. Auch hier gilt, dass die Wünsche des Betroffenen im Vordergrund stehen und die Besuche mit der zeitlichen Vereinbarkeit der ehrenamtlichen Person übereinstimmen. Es kommt auch vor, dass die Ehrenamtlichen zur Beerdigung eingeladen werden und die Angehörigen im Trauerprozess begleiten.

Welche Wünsche haben die Menschen, die sie betreuen?

Das ist sehr unterschiedlich. Manche wünschen sich einfach viel Ruhe. Manche möchten noch einmal ans Meer, oder ihre Familie sehen. Oft sind es Kleinigkeiten, wie ein Besuch beim Tierfriedhof oder ein Konzert. Wenn eine Reise medizinisch möglich ist, haben Ehrenamtliche sie auch schon dabei begleitet.

Wie werden die Ehrenamtlichen auf diese herausfordernde Aufgabe vorbereitet?

Es gibt eine rund siebenmonatige Vorbereitung von Januar bis Juli durch verschiedene Dozent*innen, die mit einem Zertifikat abgeschlossen wird. Dabei lernen sie viel über sich selbst. Wo sind meine eigenen Grenzen? Wo komme ich her? Was bringe ich mit? Was gibt mir Halt? Welche Hürden habe ich bereits selbst überwunden? Aber nicht nur die eigene Biographie spielt im Vorbereitungskurs eine Rolle. Auch die Kommunikation, die rechtlichen Grundlagen, das palliative Versorgungssystem, Rituale, Religionen und Spiritualität, Bestattungswesen sowie die Selbstfürsorge sind Schulungsmodule.

Meinen Sie die Rituale der Sterbenden, oder die der Begleiter*innen?

Beides. Aber in der Schulung geht es z.B. um die Selbstfürsorge, durch die Ehrenamtliche sich selbst schützen können und den richtigen Umgang mit Nähe und Distanz finden. Welche Rituale haben sie, um mit den oft schweren Schicksalen umzugehen? Das kann z.B. ein Spaziergang nach einem Besuch bei einem Sterbenden sein. Teil der Schulung ist auch der Umgang mit Andersartigkeit und wie man diese bei den Begleiteten anzunehmen lernt. Auch nach der Ausbildung wird regelmäßig eine Supervision angeboten.

Für wen ist die Ausbildung nicht geeignet?

Wir fragen unsere Bewerber*innen immer, warum sie das machen wollen. Persönliche Gründe sind zwar okay, aber die Motivation sollte kein kürzlich verstorbener Angehöriger sein, oder ein zu großer Rucksack an eigenen belastenden Erlebnissen. Kommunikation ist ganz wichtig, auch nonverbale, Zuhören und Verstehen, Situationen aushalten. Das heißt z.B. auch damit umgehen, wenn Menschen zum Ende ihres Lebens hin mürrisch sind, verletzend, vielleicht sogar verbal angreifend. Ehrenamtliche sollten sich zudem auch mindestens für ein Jahr engagieren.

Wonach entscheiden sich Menschen für den ambulanten Hospizdienst, oder aber für eine stationäre Palliativversorgung im Hospiz?

Die medizinische symptomlindernde Versorgung ist natürlich überall möglich. Manchen Menschen ist es sehr wichtig, die Zeit, die ihnen bleibt, in den eigenen vier Wänden zu verbringen. Dort ist natürlich keine rund-um-die-Uhr Betreuung möglich wie im stationären Hospiz. Es gibt zwar einen Notdienst, aber auch dieser braucht einige Minuten, bis er vor Ort ist. Es ist also eine ganz individuelle Entscheidung. Wenn man von zu Hause ins Hospiz wechseln möchte, ist auch das denkbar.

 

*palliativ: Palliative Versorgung erhalten Patient*innen, die an unheilbaren, fortschreitenden (progredienten) Erkrankungen wie Krebs, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Demenz oder Parkinson leiden. Eine heilende (kurative) Therapie ist nicht mehr möglich und die Lebenserwartung ist begrenzt.