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100% Frauenquote: „Wir wollen ein Zeichen setzen“

Nur Frauen als Referentinnen auf einem medizinischen Kongress - das gab es so noch nicht: Auf dem 16. Berliner Krebskongress sprechen ausschließlich Frauen als Referentinnen. Das soll ein Zeichen setzen. Die Kongresspräsidentinnen Dr. Mandy Mangler und Dr. Marion Paul erklären im Interview, warum sie das so wichtig finden und warum dies aber auch eine einmalige Sache sein soll.

Der Kongress am 10. – 11.09.2021 steht unter dem Motto "Weibliche Tumoren, Digitalisierung und Empowerment". Es geht in digitalen Formaten um Krebserkrankungen, die (fast nur) Frauen betreffen und um die Frau als Ganzes: Dazu zählen etwa Erkrankungen der Brust und der weiblichen Genitalorgane.

Krebs und die Frau als Ganzes

Gerade bei diesen Tumorerkrankungen haben sich aktuell die Heilungschancen oder mindestens die Lebenszeit mit einer guten Lebensqualität verlängert, dank weiterentwickelter Therapien. Soziokulturelle und gesellschaftliche Fragen werden auch thematisiert und so dazu beigetragen, eine Krebserkrankung nicht nur rein medizinisch zu betrachten.

Die Anzahl der Frauen, die 2020 neu an Krebs erkrankten, wird vom RKI auf über 240.000 geschätzt. Der demographische Wandel, bestimmte Lebensgewohnheiten und Umweltveränderungen tragen zum Anteil der Neuerkrankungen bei, haben aber auch Einfluss auf die Behandlung.

Kostenloser, digitaler Kongress

Der Patient*innenkongress ist kostenlos. Hier geht es zur Anmeldung für Patient*innen, Angehörige und Interessierte.

Auch der Fachkongress ist für pflegerisches und medizinisches Personal kostenlos. Hier geht es zur Anmeldung für den Fachkongress.

Auf diesem Berliner Krebskongress werden ausschließlich Frauen Vorträge halten – warum ist kein Mann eingeladen?

Dr. Mandy Mangler: „Es gibt so viele hochqualifizierte Frauen. Ich war allerdings schon oft auf medizinischen Kongressen mit 0% Frauenquote unter den Referierenden, auch in der Gynäkologie. Wenn ich nachfrage, warum keine einzige Frau als Expertin eingeladen wurde, höre ich unter anderem immer wieder das Argument, dass es halt nicht genügend qualifizierte Frauen gäbe. Das stimmt aber so nicht – es gibt ja auch insgesamt mehr Gynäkologinnen als Gynäkologen. In Spitzenpositionen sind zwar auch in der Gynäkologie Frauen in der Minderheit, aber es gibt sie. Und das wollen wir mit diesem Kongress deutlich machen, auf dem ausschließlich Frauen sprechen.“

Sie wollen also ein Zeichen setzen?

Dr. Marion Paul: „Ja, wir wollen ein Zeichen setzen. Wir haben viele qualifizierte Frauen als Referentinnen gewonnen. Damit haben wir das oft bemühte Argument widerlegt, dass keine Frau als Referentin gefunden werden konnte. Dass unser Kongress vor allem digital stattfindet, hat uns die Suche nach Expertinnen natürlich erleichtert. Auch inhaltlich passt es ja: Frauen sprechen über Tumorerkrankungen, die vor allem Frauen betreffen. Wie etwa Brustkrebs. Bei Brustkrebs sind 1% der Betroffenen Männer.“

Digital und 100% weiblich - aber nur dieses eine Mal

Aber es sind auch Männer eingeladen, oder?

Mangler: „Ja, ausdrücklich! Wir wünschen uns die Unterstützung der Männer. Denn es ist nicht allein das Problem der Frauen, dass sie oft unterrepräsentiert sind. Es ist ein Problem von uns allen, von unserer Gesellschaft und wir können das gemeinsam ändern. Männer, die diesen Kongress besuchen, zeigen: „Ich unterstütze das explizit.“

Werden Sie jetzt öfter „männerfreie“ Kongresse organisieren?

Paul: „Nein, so ist das nicht gedacht. Unser Berliner Krebskongress ist dieses eine Mal von Frauen – für Frauen und Männer. Wir werden auch in Zukunft keine „männerfreien“ Kongresse organisieren. Solange wir aber noch über Frauenquoten diskutieren oder sie explizit festschreiben – ob bei Einstellungen in Führungspositionen oder bei Kongressen – denke ich, sollten wir uns alle dafür einsetzen, dass es ganz selbstverständlich wird, dass beide Geschlechter berücksichtigt werden.“

 

Trends: Individuelle Therapien und Empowerment

Welche entscheidenden Neuerungen gibt es denn in der Krebstherapie für weibliche Tumore?

Paul: „Es geht immer mehr um zielgerichtete und individualisierte auf die jeweilige Frau zugeschnittene Therapien. Thema auf dem Kongress sind daher sowohl medikamentöse Therapien
als auch technische Weiterentwicklungen in der Tumorchirurgie. Auch modernste Erkenntnisse in der Strahlentherapie werden vorgestellt“.

Mangler: „Ein weiterer Schwerpunkt des Kongresses liegt auf Therapieoptionen, die dazu beitragen, den Lebensstil in eine positive, heilsame Richtung zu verändern und so das Empowerment der Patientinnen zu stärken. Warum Frauen eine andere Medizin brauchen, wird im Beitrag zur Gendermedizin deutlich.“

Es geht auf diesem Berliner Krebskongress allerdings auch nicht rein um medizinische Themen…

Mangler: „Stimmt. Wichtig ist uns, die Frau dabei als Ganzes zu sehen und nicht nur den Tumor zu behandeln. Deshalb haben wir für diesen Kongress Spezialistinnen ausgesucht, die interdisziplinär und interprofessionell arbeiten und über diese neuen Erkenntnisse referieren.“

Paul: „Der Kongress ist damit in seiner Zusammenstellung einmalig, denn er schlägt eine Brücke zwischen medizinischem, digitalen und geisteswissenschaftlichen Blickwinkeln, die uns bereichern können. Wir werden also über den rein medizinischen Tellerrand hinausschauen. Zusätzlich haben wir daher diesmal Themen eingeflochten, die uns gesellschaftspolitisch relevant erscheinen und eben auch direkten Einfluss auf die Tumorerkrankung und deren Behandlungsqualität haben.“

Bessere Behandlung durch mehr Wissen "rundherum"

Welche gesellschaftlichen Einflüsse gibt es auf Tumorerkrankungen und Behandlungsqualität?

Mangler: „ So wollen wir dazu beitragen, die weiblichen Tumoren und die betroffenen Frauen im Gesamtkontext zu sehen und die Qualität der Behandlung weiter zu verbessern: Etwa Bewegung, Aufklärung, Psyche, Ernährung, Reha, Rückkehr ins Berufs- und Familienleben.“

Paul: „Dazu gibt es viele spannende Forschungsansätze und Überlegungen, von denen wir einige beleuchten wollen. Ich erlebe etwa häufiger in der Klinik, dass Frauen die Tumoren oft verschleppen, weil sie Mütter und Ehefrauen sind und sich eben zuerst um die Familie gekümmert haben – und ihre eigene Krebserkrankung hintenangestellt haben. Warum ist das so? Das interessiert mich. Fest steht, dass gesellschaftliche und soziokulturelle Zusammenhänge spielen bei einer Krebserkrankung eine nicht unerhebliche Rolle spielen.

Es gibt auch einen Patientinnen-Kongress - was ist da der Schwerpunkt?

Mangler: „Der Patientinnen-Kongress ist direkt vor dem Fachkongress und er ist uns sehr wichtig. Denn hier sind eben alle eingeladen – Patientinnen und Patienten gelten als Laien und dürfen leider nicht an allen Kongressveranstaltungen des Fachkongresses teilnehmen.“  

Paul: „Der Patientinnen-Kongress wird von engagierten Expertinnen gestaltet. Es geht um ein positives Mindset, um Ernährung bei Tumorerkrankungen, gute Pflege bei Krebs und darum, wie man nach einer Krebserkrankung zurück ins Berufsleben findet.“
 

Mehr zum 16. Berliner Krebskongress

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Titelbild: Krebskongress  © Nadine Hentrich - guckschatz-design.de