Veröffentlicht am

Früh übt sich: Warum Kinder Erste Hilfe lernen sollten

Interview mit der Notfallmedizinerin Dr. Stefanie Franke. Die Oberärztin der Rettungsstelle des Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikums gibt ehrenamtlich Schüler*innen Erste-Hilfe-Kurse. In denen geht es um mehr als Herzdruckmassage und stabile Seitenlage.

Frau Dr. Franke, ab welchem Alter können Kinder Erste Hilfe lernen?

Eine norwegische Studie der Universität Bergen konnte bereits 2011 zeigen, dass Kinder schon ab 4 bis 5 Jahren altersangepasst Erste Hilfe leisten können.

Was bringen Sie den Kindern in den Erste-Hilfe-Kursen bei?

Bei jedem Kurs spreche ich vorher mit der Klassenlehrer*in: Was kann die Klasse - auch kognitiv - leisten. Welche „Besonderheiten“ bringen die Kinder mit wie beispielsweise kognitive Einschränkungen, kultureller Hintergrund, familiäre Hintergründe … . Anschließend gestalten wir den Kurs nach diesen Vorgaben und bauen darauf auf. Es ist immer mindestens ein anderes Kind - meistens zwei - aus einer anderen Klasse beziehungsweise Klassenstufe als Assistenz dabei. Diese Kinder lernen, dass sie selbst den „Großen“ was beibringen können, sind stolz. Und die Klasse sieht, dass auch die „Kleinen“ ihnen was beibringen können und wollen dann beim nächsten Mal auch mit in einen anderen Kurs.

Wie läuft so ein Kurs in der Klasse dann ab?

Ich fange immer damit an, dass die Kinder berichten, was ihnen selbst, ihrer Familie oder den Freunden bereits passiert ist. Damit wird die Grundlage geschaffen, dass das, was wir versuchen zu lernen, uns allen helfen kann.

Weiter geht es mit Telefonnummern, die eigentlich jeder kennen sollte:

Feuerwehr, Polizei, aber auch der KV-Dienst und der Giftnotruf.

Wann ruft man wo an, warum fragt zum Beispiel die Feuerwehr nach dem eigenen Namen, was wird gefragt, muss man immer gleich die Feuerwehr anrufen, oder ist es möglich, sich selbst zu helfen, reicht der KV- Arzt….

Wichtig: Ich begebe mich NIE in eine Situation, die mich selbst in Gefahr bringt. Das heißt, ich bin mir meiner eigenen Verletzlichkeit / der Wichtigkeit meiner eigenen Gesundheit bewusst.

Anschließend sprechen wir über Wärmeerhalt (auch der Boden, auf dem man liegt, ist kalt), das Dreiecktuch, Fingerkuppenpflaster, Verband und (wenn nicht ausreichend) Druckverband. Das machen die Schülerassistenten vor. Beim Vormachen achten wir auf die Art, von wo und wie man jemanden anspricht und im nächsten Schritt, wie es sich anfühlt, wenn man selbst in eine Wärmedecke eingewickelt wird. An unterschiedlichen Stationen sollen die Schüler ihr Gelerntes selbst anwenden. Das heißt jede und jeder macht einen Verband, bekommt einen Verband und so weiter.

Danach besprechen wir ein Szenario, bei dem ein alter Mensch am Bahnhof „umfällt“ und achten beim Vormachen erneut auf die sichere Umgebung. Sich selbst nicht in Gefahr bringen und trotzdem helfen können - indem man Hilfe holt - wird immer wieder thematisiert.

Anschließend wird besprochen, wie man die Atmung prüft, Hilfe holt und - wenn Atmung vorhanden - die stabile Seitenlage macht.

Die Funktion des Herzens wird altersangepasst besprochen und warum wir eine Herz-Druck-Massage wie durchführen.

Zusammengefasst: Prüfen - Rufen - Drücken

Nach einem 8-minütigen Video über den Rhythmus und die Frequenz bei der Herz-Druck-Massage machen wir noch einmal ein Beispiel vor. Dann ist der erste Teil vorbei.

Ab Klassenstufe 4 komme ich ein paar Wochen später noch einmal in die Klasse. Wir wiederholen kurz, dann soll jeder die stabile Seitenlage und die Herzdruckmassage an Simulationspuppen üben („Prüfen - Rufen - Drücken“).

Wie unterscheiden sich Kinder- von Erwachsenen-Kursen?

Kinder sind oft emphatischer, haben weniger Berührungsängste und wollen helfen und lernen. Sie nehmen das Gesagte auf und erinnern sich auch lange danach noch an Sachen, bei denen ich dachte, die sind doch bestimmt schon wieder weg.

So erzählten Kinder unabhängig voneinander auf die Frage, was sie sich gemerkt hätten: „Bevor ich irgendwo hingehe, gucke ich, ob es sicher ist.“ „Der KV- Arzt ist der Hausarzt für das Wochenende.“

Erwachsene wollen meistens auch lernen, haben aber oft vieles andere im Kopf und sind dadurch oft weniger aufnahmefähig.

Warum ist es wichtig, bereits im Kindesalter Erste-Hilfe-Grundlagen zu lernen?

Wie viele Erwachsene gucken in unserer Gesellschaft weg?

Es geht um viel mehr als Erste Hilfe: Es geht um Achtsamkeit dem Anderen gegenüber, egal, ob ich ihn oder sie mag, Rücksichtnahme, sich selbst helfen zu können. Selbstbewusstsein zu haben (ich kann auch etwas tun und bin nicht hilflos) und noch vieles mehr. Wenn das nicht bereits im Kindesalter gelernt werden sollte, wann dann?

Wenn kein Angebot in Wohnortnähe bekannt ist, was können interessierte Familien tun?

Es gibt viele Angebote im Netz, zum Beispiel auch über die Polizei Erste-Hilfe-Kurse für Kinder oder die Hilfsorganisationen. Man kann in der Kita oder Schule nachfragen, ob dort entsprechende Kurse angeboten oder vermittelt werden können.