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"Mein Kind hat Bauchschmerzen"

Kinderradiologin Alexandra Gertz spricht im Interview über die häufigsten Ursachen von Bauchschmerzen bei Kindern und wann Eltern mit ihrem Kind unbedingt eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen sollten.

Frau Gertz, Bauchschmerzen sind eine der häufigsten Beschwerden bei Kindern. Wann sollten Eltern mit ihrem Kind zum Arzt oder sogar in die Rettungsstelle gehen?

Bauchschmerzen bei Kindern sind tatsächlich sehr verbreitet und nicht immer sofort alarmierend. Wenn die Schmerzen heftig sind, die Kinder beispielsweise deshalb aus der Kita oder der Schule abgeholt werden mussten, führt in der Regel der erste Weg zur Kinderarztpraxis. Der Kinderarzt schreibt dann gegebenenfalls eine Einweisung in die Klinik.

Und was ist, wenn es abends oder am Wochenende passiert?

Dann müssen Eltern selbst entscheiden, ob sie abwarten können, bis ihr Kinderarzt wieder Sprechstunde hat oder direkt in die Rettungsstelle fahren. Es gibt einige Alarmsymptome, bei denen sie nicht zögern sollten: Das sind etwa unstillbares Erbrechen, starke Schmerzen, die sich auf einen Punkt konzentrieren, oder wenn das Kind gar nichts mehr zu sich nehmen will, ein Baby-Bauch, der fest wird. Auch bei anhaltendem Durchfall, Fieber oder anderen begleitenden Symptomen sollten Eltern den Weg in die Rettungsstelle wählen. Es ist besser, einmal zu viel zu gehen als einmal zu wenig.

Wie gehen Sie als Kinderradiologin vor, um die Ursache der Bauchschmerzen zu finden?

Zuerst schaut sich ein Kinderarzt oder Kinderchirurg das Kind an. Wenn dieser eine Ultraschalluntersuchung zur weiteren Diagnostik benötigt, kommen wir ins Spiel. Wir gucken uns dabei immer den ganzen Bauch an, weil Kinder häufig schlecht definieren können, wo es genau weh tut. Schmerzen werden oft in die Umgebung des Bauchnabels lokalisiert. In der Kinderradiologie leisten wir eine Art Detektivarbeit mit dem Ultraschall. Wir untersuchen den gesamten Bauch, schauen uns die Harnblase, die Leber, die Nieren, die Bauchspeicheldrüse, die Milz und den Darm an. Bei Mädchen prüfen wir auch die Eierstöcke, bei den Jungen unter Umständen auch die Hoden, wenn es Hinweise in diese Richtung gibt.

Warum untersuchen Sie Kinder fast immer mit dem Ultraschall?

Der Ultraschall arbeitet ohne Strahlung. Ultraschall tut nicht weh. Und es geht schnell. Mit dem Ultraschall kann man wunderbar alle Organe sehen und auch Bewegung sichtbar machen. Ich kann zum Beispiel sehen, ob und wie der Darm sich bewegt. Ob vom Harnleiter gerade Urin in die Blase transportiert wird oder ob da ein Stopp ist. Das ist bei anderen Methoden wie MRT oder Röntgen nicht so einfach möglich.

Wie reagieren die Kinder auf diese Untersuchungen?

Das ist unterschiedlich. Manche Kinder haben Angst, vor allem weil es ihnen schlecht geht und sie nicht wissen, was jetzt passiert. Es ist eine Herausforderung, das Vertrauen der Kinder zu gewinnen, aber das ist auch ein Teil meiner Arbeit, der mir sehr viel Freude bereitet. Ich versuche, die Kinder abzulenken und ihnen die Angst zu nehmen, indem ich mit ihnen über ihren Sportverein oder die Schule spreche und die Untersuchung möglichst "nebenbei" durchführe. Auch die Eltern stehen natürlich besorgt daneben. Ihnen vermittle ich: Wir kümmern uns um Ihr Kind. Wenn wir die Ursache der Schmerzen gefunden haben, können wir gezielt helfen. Das ist zwar nicht immer angenehm, aber es ist der erste Schritt zur Besserung.

"Das Beruhigende ist: Häufig finden wir nichts Ernsthaftes."

Was sind die häufigsten Diagnosen, die Sie stellen?

Das Beruhigende ist: Häufig finden wir nichts Ernsthaftes. Leicht zu behandeln ist zum Beispiel eine Verstopfung, besonders im Vorschul- und Grundschulalter. Das kann man sehr gut im Ultraschall sehen und auch die Besserung nach einer Therapie direkt beobachten. Eine weitere häufige Diagnose stellt ein Magen-Darm-Infekt dar. Auch eine Blinddarmentzündung erkennen wir oft und können sehen, wie schlimm sie ist. Bei Kindern helfen dann unter Umständen auch Antibiotika und es muss nicht immer sofort operiert werden. Bei Kleinkindern sehen wir gelegentlich Invaginationen. Bei denen stülpt sich der Dünndarm in den Dickdarm. Ab der Pubertät kommen bei Mädchen gynäkologische Probleme hinzu wie zum Beispiel Zysten an den Eierstöcken. Bei Jungen sind es Hodentorsionen, also dass der Hoden sich verdreht. Das ist bei den Jungen dann wirklich ein medizinischer Notfall.

Warum ist ein verdrehter Hoden gefährlich?

Der Hoden hat nur sechs Stunden Zeit zu überleben. Jungen sagen den Eltern, Lehrern, oder Großeltern oft aus Scham nichts von ihren Beschwerden am Hoden oder sprechen eben von Bauchschmerzen. Aber es ist wirklich wichtig zu wissen: Wenn ein plötzlicher Schmerz im Hoden einsetzt, aus einer Bewegung heraus – zum Beispiel beim Fußball oder im Bett einmal umgedreht, das eine Bein über das andere geschlagen - dann sofort den Eltern Bescheid sagen und sofort ins Krankenhaus fahren. Das wäre ein klassisches Beispiel dafür, wann man auch nachts um 3 Uhr in die Rettungsstelle fahren sollte.

Warum gibt es eine spezielle Kinderradiologie?

Kinderradiologen haben das Wissen um die speziellen Krankheitsbilder im Kindesalter und spezielle Erfahrung in der bildgebenden Diagnostik hierzu. Das lässt sich nicht direkt aus der Erwachsenenmedizin übertragen. Bei Kindern ist der Ultraschall häufig das Mittel der ersten Wahl, während in der Erwachsenenradiologie eher CT und MRT verwendet werden. Auch die Technik ist auf die Kinder abgestimmt, wir benutzen im Ultraschall spezielle, hochauflösende Schallköpfe. Wenn Röntgen, CT oder MRT eingesetzt werden, ist auch hier die Technik speziell auf Kinder ausgerichtet.

Zur Kinderradiologie am Vivantes Klinikum Neukölln