Veröffentlicht am

Wunderorgan Leber – So arbeitet das schmerzunempfindliche Multitalent

Die menschliche Leber erfüllt viele lebenswichtige Aufgaben. Wenn das robuste Organ schwer erkrankt, verfettet oder nach langer Krankheit stetig schrumpft, kann es deshalb gefährlich werden.

Umso wichtiger ist es, rechtzeitig auf die richtige Nahrung umzustellen. „Gut gefüttert“ kann die Leber sich häufig regenerieren. Aber wie?

Mit rund eineinhalb Kilogramm ist die Leber das größte innere Organ eines Erwachsenen: Wie in einer kleinen Fabrik werden hier Stoffe abgebaut, umgebaut oder gespeichert, bis sie gebraucht werden. Letzteres gilt für überschüssige Glukose, Vitamine und Spurenelemente. Auch Galle für die Verdauung wird in der Leber produziert. Giftige Abbauprodukte, Alkohol und mit der Nahrung aufgenommene Schadstoffe gelangen über die Blutgefäße in die Leber, unser Entgiftungsorgan. Doch zu viel Alkohol und Schadstoffe können die Leberzellen schädigen. Das Tückische: Das Organ ist schmerzunempfindlich. Deshalb bemerkt der Leberkranke seine Krankheit lange nicht.

EINE VERBREITETE ERKRANKUNG der Leber ist die Fetteinlagerung, die zur sogenannten Fettleber führt. Rund 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind betroffen. Auch wenn sofort der Alkohol in Verdacht gerät, gilt er nur als einer der möglichen Auslöser. Andere häufige Ursachen sind Übergewicht, Diabetes oder eine Virushepatitis. Reagiert das Organ mit Entzündung, wird es gefährlich. Dann droht eine Leberzirrhose, die wiederum das Risiko für Leberkrebs erhöht. Wie lässt sich hier mit Ernährung gegensteuern?

Diese Frage beschäftigt Ilse Christodoulou, Ernährungsberaterin und Diabetesassistentin im Vivantes Klinikum Am Urban seit Jahren. Fest steht: Menschen mit akuten und chronischen Leberproblemen sollten auf Substanzen, die der Leber nachweislich schaden, wie etwa Alkohol, unbedingt verzichten. Hat die Lebererkrankung andere Ursachen, beispielsweise Übergewicht oder Diabetes, richten sich die Ernährungsempfehlungen nach der jeweiligen Grunderkrankung.

Schrumpfleber sorgt für Mangel

Eine schwere chronische Lebererkrankung ist die sogenannte Leberzirrhose, im Volksmund: Schrumpfleber. Dabei vernarbt das Gewebe nach und nach, wobei sich das Organ zusammenzieht und seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. Offiziell gibt es eine Million Leberzirrhosepatient*innen in Deutschland, die Dunkelziffer liegt weit höher.

Für diesen Patientenkreis ist das Thema Ernährung bislang sehr vernachlässigt“, diagnostiziert Ernährungsberaterin Ilse Christodoulou, „obwohl 70 Prozent der Leberzirrhosepatient*innen an einer Energie¬ und Eiweißmangelernährung leiden.“ Das hat vielerlei Gründe. Beispiel: Alkoholsucht. Wer keinen Appetit oder ein gestörtes Geschmacksempfinden hat, mag nicht viel und nicht ausgewogen essen. Kann sich der Magen infolge einer Wasseransammlung im Bauch – des sogenannten Aszites – nicht mehr so weit ausdehnen, tritt das Sättigungsgefühl zu früh ein. So kommt es zu einem Verlust von Muskelmasse und Unterhautfettgewebe. Oft geht damit ein Mangel an Vitaminen und Spurenelementen einher. Das Immunsystem ist gestört, die Leberfunktion verschlechtert sich weiter. Ein Teufelskreis. Denn schaltet der Stoffwechsel zur Energiegewinnung auf die Fettverbrennung um und baut körpereigenes Eiweiß weiter ab.

Auf Eiweiße achten

„Bis vor wenigen Jahren wurde in den Lehrbüchern der Medizin hinsichtlich der Eiweißernährung von Leberzirrhosepatienten meist genau das Falsche empfohlen, nämlich die Eiweißrestriktion. Das war ein Irrglaube“, stellt Prof. Dr. Hans Scherübl, Chefarzt für Innere Medizin am Vivantes Klinikum Am Urban, klar. Denn bei einer Schrumpfleber ist vor allem der Eiweißbedarf gesteigert: Um den Verlust des Unterhautfettgewebes zu verhindern, ist eine erhöhte Proteinzufuhr von täglich 1,2 bis
1,5 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht dringend empfohlen.

In jeder noch so kleinen Mahlzeit sollte daher ein Eiweißträger vorhanden sein. Proteine, die verzweigtkettige Aminosäuren enthalten, wie Milch, Milchprodukte, Gemüse und Hülsenfrüchte, stellen in Kombination mit Getreide eine optimale Proteinzufuhr dar.

Die richtige Energie zählt

Eine hochenergetische Energiezufuhr mit vielen kleinen Mahlzeiten täglich ist für Patient*innen mit Leberschrumpfung von großer Bedeutung. Die Empfehlung lautet: 35 bis 40 Kilokalorien pro Kilogramm Normalgewicht. Da sich das Normalgewicht aus der Körpergröße in Zentimeter minus 100 errechnet, sollte zum Beispiel ein 1,75 Meter großer Patient täglich 2.600 bis 3.000 Kilokalorien zu sich nehmen. Diese Nahrungsmenge fällt gerade leberkranken Patient*innen meist schwer. Hier helfen fettreiche Lebensmittel wie Sahne, Butter, Crème fraîche und Öle. Oft ist zusätzlich der Einsatz einer hochkalorischen Trinknahrung erforderlich. Als besonders kräftigend wirkt ein später Imbiss vor der Nachtruhe.

Viel Ballaststoffe, wenig Salz, viel Bewegung

Viel Ballaststoffe, wenig Salz, viel Bewegung

Eine wichtige Rolle kommt auch den Ballaststoffen zu, wie sie in Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten oder Vollkorngetreide vorkommen. Diese unverdaulichen Kohlenhydrate verkürzen die Passagezeit der Nahrung im Dickdarm und binden Gifte. Zudem fördern sie die Verdauung und verlangsamen den Blutzuckeranstieg. Vorsicht ist bei Salz geboten. Die tägliche Zufuhr sollte fünf Gramm nicht überschreiten.

Fühlen sich Betroffene müde und muskelschwach, kann auch ein Mangel an Vitaminen und Spurenelementen im Spiel sein. Hier wirkt sich eine pflanzenreiche Kost ebenfalls positiv aus. Neben einem guten Ernährungszustand trägt auch ein gesundes Körpergewicht zur Gesundung und Prophylaxe bei. Sowie Sport. Denn auch regelmäßige körperliche Bewegung unterstützt die Leberfunktion.

KONTAKT
Prof. Dr. Hans Scherübl, Chefarzt
Ilse Christodoulou, Ernährungsberaterin und Diabetesassistentin
Klinik für Innere Medizin – Gastroenterologie, Gastrointestinale Onkologie und Infektiologie im
Vivantes Klinikum Am Urban, Dieffenbachstr. 1, 10967 Berlin
Tel. 030 130 22 5201
www.vivantes.de/kau/gastro


Dieser Artikel ist auch erschienen im Vivantes Magazin „gesund!“, Ausgabe 2/2020, Seite 14/15.


Bildnachweise:

© Fotolia, Sebastian Kaulitzki
© Fotolia, decade3d