Leben nach dem Krebs: Wie eine spezialisierte Nachsorge Überlebenden hilft
Nach dem sie eine Krebstherapie erfolgreich hinter sich gebracht haben, sind viele Patient*innen weit davon entfernt, sich wieder vollständig gesund zu fühlen. Neben der Angst vor einem Rückfall kämpfen viele mit körperlichen, seelischen und sozialen Problemen.
Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, bietet das Tumorzentrum am Vivantes MVZ Neukölln eine spezialisierte Nachsorge-Sprechstunde für „Cancer Survivors“ an. In der Onkologischen Nachsorge- und Survivorsprechstunde werden Menschen, die ihre Therapie gerade beendet haben, sowie Langzeitüberlebende individuell betreut. Im Interview erklärt die Onkologin Prof. Dr. Maike de Wit welche Unterstützung es gibt, was vielen Betroffenen hilft und warum diese Nachsorge für viele so wichtig ist. Sie bietet die Sprechstunde zusammen mit Dr. Helga Schubart und Dr. Johann Völkner an.
Bei der Survivorship-Sprechstunde geht es nicht nur um die „normale“ Nachsorge, die ja oft nach 5 Jahren als abgeschlossen gilt, sondern auch später auftauchende Probleme.
Welche Rolle spielt die Nachsorge für Patient*innen, die ihre Krebsbehandlung erfolgreich abgeschlossen haben?
Prof. Dr. Maike de Wit: Die Nachsorge ist ja ein entscheidender Teil der Krebsbehandlung. Sie dient nicht nur der Überwachung, um ein mögliches Rezidiv frühzeitig zu erkennen, sondern auch der Behandlung von Spätfolgen der Therapie. Unser Ziel ist es, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und ihnen zu helfen, ihren Alltag trotz der Einschränkungen bestmöglich zu meistern – und wir sind froh, dass uns das auch oft gelingt. Bei der Survivorship-Sprechstunde geht es aber nicht nur um die „normale“ Nachsorge, die ja oft nach 5 Jahren als abgeschlossen gilt, sondern auch später auftauchende Probleme. Ich bekomme oft die Rückmeldung, dass die Patientinnen und Patienten sich gerade nach dem Ende der „regulären“ Nachsorge verloren fühlen, weil eben keine regelmäßige Nachsorge mehr vorgesehen ist und dann ein psychisches Tief mit wieder größeren Rückfallängsten folgt.
Viele Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben, leiden an den Nachwirkungen der Therapie. Was genau sind die häufigsten Beschwerden, mit denen „Cancer Survivors“ zu Ihnen kommen?
Das ist natürlich ganz unterschiedlich. Viele Patient*innen leiden unter körperlichen Beschwerden wie chronischer Erschöpfung, Schlafstörungen und Beschwerden durch Schäden der peripheren Nerven mit Kribbeln oder Taubheitsgefühlen oder endokrinen Symptomen wie in den Wechseljahren, seltener auch anhaltender Übelkeit. Hinzu kommen oft psychische Belastungen, wie die Angst vor einem Rückfall, sowie soziale Herausforderungen, etwa der Wiedereinstieg in den Beruf oder finanzielle Probleme. All dieses kann das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen, auch Jahre nach der Therapie.
Tipps gegen Fatigue und Übelkeit
Viele Krebsüberlebende leiden an chronischer Erschöpfung. Was kann man gegen die so genannte Fatigue tun?
Zunächst ist es wichtig zu prüfen, ob es sich um Fatigue mit einer körperlichen Ursache handelt und es muss eine Abgrenzung zur Depression erfolgen. Aber auch dabei ist das Hauptmittel gegen Fatigue wirksam.
Denn es wurden sehr viele Mittel gegen Fatigue in Studien getestet und es gibt vor allem ein wesentliches Mittel dagegen: Bewegung.
Wir empfehlen daher Reha-Sport oder andere Bewegungsmöglichkeiten wie Walking, radfahren, Schwimmen. Wichtig ist dabei eine gewisse Regelmäßigkeit. Erfahrungsgemäß gelingt dies am besten in einer Gruppe.
Welchen Rat haben Sie gegen anhaltende Übelkeit nach einer Krebstherapie?
Es gibt keinAllheilmittel. Wichtige Ratschläge sind allgemeine Dinge wie:
- Sich zu überlegen, was hat früher schon dagegen bei mir persönlich geholfen?
- Mehrere kleine Mahlzeiten mit wenig auf dem Teller und ausreichend Zeit zu sich zu nehmen.
- Eventuell nicht selber kochen, denn dann sind viele schon satt
- Eher zwischen den Mahlzeiten immer wieder in kleinen Schlucken trinken
- Vermeiden von sehr heißen, sehr stark gewürzten, zu kalten, zu stark riechenden Speisen
- Kleine Happen wie Toast oder Knäckebrot noch im Bett vor dem Aufstehen bei bes. morgendlicher Übelkeit
- Entspannungsverfahren wie Muskelrelaxation nach Jakobsen, Autogenes Training, Atemübungen, Massagen etc. können auch Übelkeit lindern.
- Auch Medikamente können zur Besserung beitragen. Welche anzuwenden sind, muss man prüfen zB beruhigende Medikamente.
Aber: Wenn die Übelkeit verschwunden war und erneut auftritt, kann sie auch ein Symptom einer Erkrankung sein, so dass dies mit einer Ärztin oder einem Arzt besprochen werden sollte.
Mit welchen Problemen kommen Langzeitüberlebende lange nach Abschluss ihrer Krebstherapie in Ihre Sprechstunde?
Manchmal entwickeln sich zum Beispiel Herz-Kreislauf-Probleme, die mit der früheren Strahlen- oder Chemotherapie zusammenhängen, erst Jahre nach der eigentlichen Therapie. Auch seelische Probleme wie Depressionen oder Angstzustände können wie bereits oben erwähnt erst mit Verzögerung auftreten. Deshalb ist es so wichtig, die Betroffenen langfristig zu begleiten und diese Beschwerden frühzeitig zu erkennen und zu behandeln – oder wie in der Survivorship Sprechstunde ihnen die Möglichkeit zu geben, sich auch nach länger zurückliegender Krebserkrankung sich vorzustellen.
Können Nervenschädigungen, also Polyneuropathien, bei „Cancer Survivors“ gut behandelt werden? Und wie?
Die Nervenschäden sind nicht kausal behandelbar, wenn sie erst einmal stark ausgeprägt sind. Sie bessern sich aber häufig im Laufe der Zeit ohnehin.
Es gibt die Möglichkeit Medikamente einzusetzen, die positiv auf die Nerven wirken sollen. Nachgewiesene Wirksamkeit gibt es auch für das auch als Antidepressivum verwendete Duloxetin gegen schmerzhafte Polyneuropathische Beschwerden. Angewendet werden außerdem Antikonvulsiva wie Pregabalin oder Gabapentin – auch Amitryptilin, ebenfalls auch als Antidepressivum verwendet, kommen in Frage.
Man kann aber auch selbst einiges tun: Auch hier ist Bewegung ein wichtiges Mittel zur Besserung. Auch die Verwendung von Vibrationsplatten oder andere Formen des „Training“ können helfen, wie etwa Balancieren, Barfuß laufen oder Greifen mit den Füssen.
Starke Belastungen durch Hitze oder Kälte können zur Verstärkung der Beschwerden beitragen; auch der Vitamin B12-Spiegel sollte nicht unterhalb des Normbereiches liegen.
Vor allem kann man aber, solange die Neuropathie nicht abgeklungen ist, seine Lebensumstände etwas anpassen: Eine Möglichkeit ist, die Kleidung anzupassen, etwa keine kleinen Knöpfe benutzen, Klettverschluss statt Schnürsenkel, eher weite Kleidung, die nicht scheuert, kein enges Schuhwerk und so weiter.
Gemeinsam einen individuellen Nachsorgeplan erstellen
Wie läuft die Betreuung in der Onkologischen Nachsorge- und Survivorsprechstunde konkret ab?
Zunächst führen wir ein ausführliches Anamnesegespräch, um den gesamten Krankheitsverlauf der Patient*innen zu verstehen. Dabei besprechen wir körperliche Beschwerden, aber auch seelische und soziale Herausforderungen. Anschließend erfolgt eine körperliche Untersuchung. Basierend auf diesen Informationen erstellen wir gemeinsam einen individuellen Therapie- und Nachsorgeplan, der auf die speziellen Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt ist. Es geht uns einerseits darum, die Langzeitüberlebenden bei Bedarf über lange Zeit weiter zu begleiten und ein sehr gutes Arzt-Patienten-Verhältnis aufzubauen und andererseits die gerade vorhandenen Probleme zu besprechen und Lösungsansätze zu erarbeiten.
Welche Unterstützung bieten Sie neben der medizinischen Versorgung noch an?
Neben der medizinischen Nachsorge bieten wir auch Unterstützung bei psychologischen und sozialen Problemen. Oft helfen wir bei der Vermittlung von Psycholog*innen oder Sozialarbeiter*innen, um den Patient*innen bei der Bewältigung von bürokratischen oder psychischen Herausforderungen zur Seite zu stehen. Wichtige Unterstützer können aber auch Selbsthilfegruppen oder zum Beispiel die Normalität im Cancer Survivor Home (Startseite - SURVIVORS HOME (survivors-home.de)) sein, wo wir auch Sprechstunden anbieten. Unser Ziel ist es, die Menschen ganzheitlich zu unterstützen.
Kontakte für Patient*innen
Vivantes MVZ Neukölln
Praxis für Hämatologie und Onkologie
Tel.: 030 130 14 2260
erreichbar Montag bis Donnerstag 07:30-16:00 Uhr sowie Freitag 07:30-14:00 Uhr
Vivantes Tumorzentrum
Gabriele Berger, Tumor-Lotsin
Tel.: 030 130 23 2272
erreichbar Montag bis Freitag 10-13 Uhr
E-Mail: tumorzentrum@vivantes.de