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Schwanger werden mit Epilepsie: Forscherin macht betroffenen Frauen Mut

„Die meisten Schwangerschaften bei Frauen mit Epilepsie verlaufen heute komplikationslos“, betont die neurologische Chefärztin und Epilepsie-Forscherin Prof. Dr. Bettina Schmitz. Sie rät Betroffenen, sich frühzeitig von Expert*innen beraten zu lassen, wenn sie schwanger werden wollen – und macht ihnen Mut.

„Es gibt in der Regel keinen Grund, warum eine Frau mit Epilepsie keine Kinder bekommen sollte“

Warum entscheiden sich immer noch Frauen mit Epilepsie gegen Kinder? Prof. Dr. Bettina Schmitz, Chefärztin der Klinik für Neurologie mit Stroke Unit und Zentrum für Epilepsie vom Vivantes Humboldt-Klinikum meint: „Das hat vermutlich viele Gründe. Vor allem aus Angst, ihr Baby könnte durch Epilepsie-Medikamente Fehlbildungen bekommen oder durch Anfälle während der Schwangerschaft geschädigt werden, haben sich in der Vergangenheit viele epilepsiekranke Frauen gegen eine Schwangerschaft entschieden." 

"Ich möchte betroffenen Frauen Mut machen und aufklären, etwa über sichere Antiepileptika und über weit verbreitete Vorurteile.“ Ein Irrglaube sei etwa, dass epileptische Anfälle vererbt werden könnten. Man wisse heute, dass dies keine Erbkrankheit sei, so Schmitz. „Es gibt in der Regel keinen Grund, warum eine Frau mit Epilepsie keine Kinder bekommen sollte.“ 

Epilepsie ist eine sehr häufige und in vielen Fällen chronische Erkrankung: Etwa eine von 200 Frauen in Deutschland hat eine so genannte aktive Epilepsie. Durch die verbesserten Behandlungsbedingungen sind die meisten epilepsiekranken Frauen heute in der Lage, ein weitgehend normales Leben zu führen – auch wenn sie nicht frei von Anfällen sind und wenn sie Medikamente zur Anfallskontrolle (Antiepileptika) einnehmen müssen. 

Ich möchte betroffenen Frauen Mut machen und aufklären, etwa über sichere Antiepileptika und über weit verbreitete Vorurteile. Durch die verbesserten Behandlungsbedingungen sind die meisten betroffenen Frauen heute in der Lage, ein weitgehend normales Leben zu führen.

Chefärztin, Klinik für Neurologie - Stroke Unit - Zentrum für Epilepsie im Vivantes Humboldt-KlinikumProf. Dr. Bettina Schmitz

Epilepsie ist eine sehr häufige und in vielen Fällen chronische Erkrankung: Etwa eine von 200 Frauen in Deutschland hat eine so genannte aktive Epilepsie. Durch die verbesserten Behandlungsbedingungen sind die meisten epilepsiekranken Frauen heute in der Lage, ein weitgehend normales Leben zu führen – auch wenn sie nicht frei von Anfällen sind und wenn sie Medikamente zur Anfallskontrolle (Antiepileptika) einnehmen müssen. 

Beobachtungsstudie: Welche Antiepileptika in der Schwangerschaft sicher sind

Prof. Dr. Schmitz ist seit vielen Jahren deutschlandweit führend in der Forschung auf diesem Gebiet und leitet das deutsche Schwangerschaftsregister für Schwangerschaften unter Antiepileptika (German Registry of Antiepileptic Drugs in Pregnancy with Epilepsy GRAPE). Das deutsche Register gehört zum Internationalen Schwangerschaftsregister European Registry of Antiepileptic Drugs in Pregnancy (EURAP). „Im deutschen und auch im internationalen Schwangerschaftsregister sammeln wir Daten und vergleichen wir, wie sicher verschiedene Antiepileptika für das ungeborene Kind sind, vor allen in Bezug Fehlbildungen und Wachstumsverzögerungen im Mutterleib. Wir forschen so auch zu Medikamenten, die neu auf den Markt kommen“, fasst Prof. Dr. Schmitz zusammen. 

Die meisten Babys von Frauen mit Epilepsie kommen heute gesund zur Welt

Vor allem dank der Erkenntnisse aus der langjährigen Beobachtungsstudie ist der Anteil der fehlgebildeten Kinder in den letzten 20 Jahren um 40 Prozent zurückgegangen. Das zeigen auch aktuelle Auswertungen, die jetzt veröffentlicht wurden. Seit 1999 wurden weltweit bislang mehr als 25.000 Fälle in EURAP ausgewertet. 46 Länder sind beteiligt.  

Schwangerschaften bei Epilepsie planen

Die Neurologin erklärt, was besonders wichtig ist, wenn eine Epileptikerin Nachwuchs bekommen möchte: „Um mögliche Risiken durch die Anfälle oder die Behandlung zu verringern, sollte eine Schwangerschaft idealerweise mit einem Neurologen oder einer Neurologin frühzeitig besprochen, geplant und eventuell die Medikation angepasst werden.“ Denn es sei nicht ratsam, die antiepileptische Medikation während der Schwangerschaft zu unterbrechen, da unkontrollierte Anfälle ebenfalls ein Risiko für das Kind darstellen können. 

Warum alle Frauen mit Epilepsie sich beraten lassen sollten

Für die Beratung gebe es Spezialsprechstunden, wie etwa in der Epilepsie-Ambulanz am Vivantes Humboldt-Klinikum. Allerdings sei es eigentlich für alle Frauen im gebärfähigen Alter, bei denen eine Epilepsie diagnostiziert wurde, wichtig, sich mit damit auseinanderzusetzen – vor allem, weil es ja auch ungeplante Schwangerschaften geben kann. „Ich spreche in meiner Klinik jede Frau, die schwanger werden könnte, auf dieses Thema an“, sagt die Neurologin. 

 

Niedrigstmögliche Dosis – und keine Grand mal-Anfälle 

Für die meisten Frauen mit Epilepsie gibt es heute die Möglichkeit, auf Medikamente umzusteigen, die dem Baby im Bauch nachweislich nicht oder nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit schaden. „Schon vor einer Schwangerschaft auf vergleichsweise sichere Medikamente umzustellen, ist daher der wichtigste Schritt. Oberstes Ziel ist es, ohne Anfälle oder zumindest ohne Grand mal-Anfälle durch die Schwangerschaft zu kommen, und das mit einer niedrigstmöglichen Dosis in Monotherapie – also mit nur einem Medikament“, betont Prof. Schmitz. Zu vermeiden sei etwa das Präparat Valproat, insbesondere in Kombination mit anderen Antiepileptika und bei Frauen, bei denen bereits ein Kind oder ein Familienangehöriger mit einer Fehlbildung z.B. Spina bifida, geboren wurde. Bedeutsam sei es auch, drei Monate vor der Schwangerschaft und im ersten Schwangerschaftsdrittel Folsäure einzunehmen. 

Was bei Schwangerschaften kontrolliert werden sollte

Wer schon schwanger ist, dem raten die Expert*innen heute, eine bewährte Medikation nicht mehr zu ändern und auch nicht ohne Rücksprache Medikamente abzusetzen oder die Dosis selbstständig zu verringern. Eine sogenannte Ultraschallfeindiagnostik ab der 12. Schwangerschaftswoche kann helfen, mögliche Fehlbildungen abzuschätzen. Und bei einigen Antiepileptika sei es ratsam, den Serumspiegel kontrollieren zu lassen. Anfallsserien, „große“ bzw. Grand mal-Anfälle und anfallsbedingte Stürze sollten möglichst vermieden werden.

Natürliche Geburt bei Epilepsie ist möglich

Eine natürliche Geburt ist grundsätzlich auch für Epileptikerinnen möglich. Grundsätzlich raten dieSpezialist*innen zu Kaiserschnitt nur bei häufigen Anfällen in der Schwangerschaft, großen Anfällen oder vielen kleinen Anfällen während der Geburt, denn dann kann die Gebärende oft nicht bei der Geburt mithelfen. „Was auch nicht vergessen werden darf, ist, die Antiepileptika auch im Kreißsaal weiter einzunehmen. Denn eine Geburt kann sich ja über viele Stunden hinziehen“, erinnert Prof. Dr. Schmitz. Während der Geburt ist auch ein vorübergehender Anfallsschutz durch benzodiazepinhaltige Medikamente zu erwägen. 

Stillen und Antiepileptika nehmen? Ja, aber…

Auch im Wochenbett gibt es für Frauen mit Epilepsie einiges zu beachten: Alle Antiepileptika gehen in unterschiedlichem Ausmaß in die Muttermilch über. Daher ist Stillen nach Rücksprache mit dem Neurologen und dem Kinderarzt erlaubt. Es wird geraten, abzustillen, wenn die Mutter an ausgeprägter Müdigkeit leidet oder wenn das Kind eine Trinkschwäche hat oder unzureichend an Gewicht zunimmt. „Insgesamt sollten Mütter mit Epilepsie das Stillen nicht unnötig lange fortsetzen. Wir wissen, dass Schlafentzug zu vermehrten Anfällen führen kann. Daher wäre es gut, sich bei der Versorgung des Babys Unterstützung zu sichern“, rät Prof. Dr. Schmitz. 

Auch die Risiken für das Neugeborene können Mütter, die Epilepsie haben, durch bestimmte Vorsichtsmaßnahmen minimieren: Dazu zählen etwa Wickeln und Stillen in einer sicheren Position wie etwa auf dem Fußboden, ein Kinderwagen mit einer automatischen Bremse und der Tipp, das Baby nicht alleine zu baden. 

 

Vivantes ausgezeichnet

Ausgezeichnete Klinische Forschung und Versorgungsforschung auf hohem Niveau auf dem Gebiet der Neurologie: Prof. Dr. Bettina Schmitz und ihr Team haben den ersten Platz bei „Vivantes ausgezeichnet 2021“ gewonnen. Vivantes zeichnet Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit 2016 für besondere Leistungen aus. Wir gratulieren den Gewinnern aus 2021 und danken für das tolle Engagement!

Film hier ansehen

Vivantes ausgezeichnet 2021: Forschung und Lehre - YouTube

 
Mehr Informationen

Am 05. Oktober ist tag der Epilspsie. Links und mehr Informationen zu "Epilepsie und Schwangerschaft" gibt es hier: 

Link zu Flyer 
Link zur Spezialambulanz im HUK
Link zum Forschungsprojekt GARPE/EURAP bei Vivantes 
Link zum Tag der Epilepsie 
Vivantes ausgezeichnet 2021